Neuer Ansatz für Seelower Höhen

Gedenkstätte will Sicht auf die Schlacht im Zweiten Weltkrieg eindrucksvoller vermitteln

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 6 Min.

Vom Höhenzug am Stadtrand von Seelow (Märkisch-Oderland) blickt man auf die Ebene des Oderbruchs wie in eine Manege. Links von der Gedenkstätte verläuft die Bundesstraße B 1, sie führt schnurgerade nach Küstrin im Osten. In 20 Kilometern Entfernung sieht man jenseits der Oder den Schornstein der Zuckerfabrik. Äcker und Wiesen, durchzogen von Hecken und Wassergräben - ein friedliches Bild. Man schaut aber auch auf ein Schlachtfeld, eine Landschaft, die sich 1945 in einen riesigen Friedhof verwandelte.

An einem Freiluftmodell erläutert Tobias Voigt, einer der ehrenamtlichen Museumsführer, die Topographie der Region, die die Rote Armee im Zuge ihrer Winteroffensive gegen die deutschen Truppen Ende Januar 1945 erreicht hatte. Von da an hatten sich beide Seiten erbarmungslose Kämpfe um jedes Fleckchen Erde entlang der Oder geliefert. Berlin, die letzte Bastion des Nazi-Regimes, das die Sowjetunion mit einem Vernichtungskrieg überzogen hatte, sollte bis zum 1. Mai, dem für Stalin prestigeträchtigen Feiertag fallen.

Denkmal, Ruhestätte, Lernort

- Die Schlacht um die Seelower Höhen zwischen der Roten Armee und deutschen Verbänden tobte vom 16. bis zum 19. April 1945 und endete mit dem sowjetischen Durchbruch in Richtung Berlin. Genaue Opferzahlen gibt es nicht - im Oderbruch und um Seelow sollen 33 000 Rotarmisten und 12 000 Deutsche gefallen sein, aber auch Zehntausende Zivilisten starben.

- Im Mai 1945 befahl Marschall Georgi Schukow, der die Berliner Operation kommandiert hatte, die Errichtung von Siegesdenkmalen in Küstrin, in Seelow und in Berlin-Tiergarten - entlang der Straße »seines« Sieges.

- An der damaligen Reichsstraße 1, auf einem Aussichtsplateau vor Seelow, wurde ein sowjetischer Friedhof mit 66 Soldatengräbern angelegt. Der Bildhauer Lew Kerbel schuf eine Bronzeplastik - ein Rotarmist mit umgehängter Maschinenpistole auf den Trümmern eines Panzers, den Blick nach Osten zum Schlachtfeld. Am 27. November 1945 wurde das Denkmal eingeweiht.

- Im Jahre 1972 ließt die DDR das Areal zu einer Gedenkstätte der Befreiung mit Museum erweitern. Im Außenbereich wurde sowjetisches Militärgerät - historische Panzer, Geschosswerfer, Geschütze - ausgestellt.

- Ab 1985 wurde in Seelow erstmals auch an die Teilnahme der 1. Polnischen Armee an der Seelower Schlacht erinnert und ihrer Opfer gedacht.

- Nach 1990 begann eine kritische Auseinandersetzung mit dem bisherigen Gedenkstättenkonzept. Der Außenbereich änderte sich kaum - 2003 wurde erstmals ein Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche aufgestellt. Mehrfach überarbeitet wurde die Ausstellung des Museums. Stärker in den Fokus kamen die besiegten Deutschen, die Zerstörungen und das Leiden der Bevölkerung.

- Die »Gedenkstätte/Museum Seelower Höhen«, Küstriner Straße 28a, 15306 Seelow, hat von November bis März, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr geöffnet, von April bis Oktober 10 bis 17 Uhr. Tel.: (03346) 597. tm

»Wir schauen hier auf das größte Schlachtfeld des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden«, sagt Voigt. »Von Küstrin bis nach Seelow sind es vielleicht 20 Kilometer, hinter dem Höhenzug ist es bis zu den letzten befestigten Ortschaften vor Berlin - Müncheberg oder Strausberg - noch mal genauso weit. Gekämpft wurde hier auf einer Frontbreite von 70 Kilometern.« Der studierte Politologe ist bis ins Detail kundig, er kennt Nummern und Kommandeure der beteiligten Großverbände, Typen und Anzahl der eingesetzten Waffen.

Sachkenntnis und das direkte Gespräch - auf diese Stärken ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter setzt Kerstin Niebsch, die die Leitung der Gedenkstätte ab Februar übernommen hat. Seit Monaten feilt sie an einem zukunftsfesten Konzept für die Gedenkstätte, mit dem es ihr auch gelingen soll, aus dem übergroßen Schatten ihres Amtsvorgängers herauszutreten. »Sie brauchen, um jemandem eine Geschichte wie die der Seelower Schlacht und was sie für die Menschen bedeutet nahe zu bringen, Menschen, die diese Geschichte erzählen können.« Sieben Museumsführer hat Kerstin Niebsch derzeit zur Verfügung, Leute aus der Region, die in anderen Berufen tätig sind, erfahren und lebensklug. »Wir setzen bewusst auf den unterschiedlichen Erzählstil unserer Mitarbeiter«, sagt sie.

Die 54-Jährige hat in Berlin Politische Ökonomie studiert und lebt seit 20 Jahren in der Region. Seit 2002 hat sie das Kreiskulturhaus Seelow und ab 2014 die Kultur gGmbH des Landkreises geleitet. Als Gedenkstättenleiterin ist sie noch bis Jahresende in Personalunion Geschäftsführerin der Kultur gGmbH. Doch per Kreistagsbeschluss vom Juni fallen die Seelower Gedenkstätte - wie auch das Brecht-Weigel-Haus in Buckow und das Schloss Bad Freienwalde - zum 1. Januar 2017 aus der Zuständigkeit der gGmbH wieder zurück an den Landkreis. Dann, so hofft sie, werde sie die Hände frei bekommen für den notwendige Umbruch. »Vor allem muss wieder das eigentliche Geschichtsereignis vor Ort ins Zentrum unseres Museums gerückt werden«, sagt die Leiterin. »Die Schlacht um die Seelower Höhen.«

Tobias Voigt führt seit einiger Zeit Besuchergruppen, die sich für eine mehrstündige Geländeexkursion angemeldet haben, über das Schlachtfeld zwischen der Oder und Seelow - mit einer Mittagspause in Reitwein. Der kleine Ort trägt noch heute Spuren der erbitterten Kämpfe.

Die strategische Vorbereitung und Führung der sogenannten Berliner Operation trug mit Stalins Billigung die Handschrift von Marschall Georgi Schukow. Der militärische Stellvertreter des Sowjetführers kommandierte die an der Berliner Operation teilnehmenden Truppen, die ihren Gegnern erdrückend überlegen waren, von seinem Gefechtsstand östlich der Oder auf dem Reitweiner Sporn aus. Der am Morgen des 16. April 1945 losbrechende Angriff begann für die Rote Armee als blutiges Desaster. Am Ende brauchten Schukows Angriffsarmeen vier Tage, um die Verteidigung auf den Seelower Höhen zu zerschlagen. Zehntausende Soldaten beider Seiten mussten sterben, bis der Weg nach Berlin entlang der damaligen Reichststraße 1 freigekämpft war. Auf den Feldern und in den Wäldern standen noch Jahre Hunderte zerschossene Panzer, Fahrzeuge und Geschütze, die Leichen der Gefallenen hatte man in jenen warmen Frühlingstagen in aller Eile an Ort und Stelle verscharrt.

Das Angebot an Führungen, die meist auf dem Gelände der Gedenkstätte selbst stattfinden, betrachtet die neue Leiterin als eine tragende Säule auch im künftigen Konzept. »Wir kommen, obwohl wir ein sehr schwieriges Jahr hinter aus haben, schon jetzt auf insgesamt 125 Führungen. Keine einzige Anmeldung haben wir absagen müssen, darauf bin ich schon auch stolz.«

Der Gedenkstätte fehlt es selbst für den Erhalt der Anlagen und der Exponate an Geld. Die auf dem Vorplatz präsentierten »Waffen des Sieges« - Geschütze, ein »Katjuscha«-Raketenwerfer, auch ein T-34-Panzer, der an der Seelower Schlacht teilnahm - leuchten in der Herbstsonne zartrosa. Die Witterung hat dafür gesorgt, dass die Rostschutzfarbe unter dem zu dünn aufgetragenen Olivgrün zum Vorschein kommt.

Der Landkreis Märkisch-Oderland, selbst knapp bei Kasse, hat in diesem Jahr einige Baumaßnahmen veranlasst, zum Beispiel wurden die Treppenanlagen ausgebessert. 2017 soll das gesamte Gelände barrierefrei zugänglich gemacht, der Außenbereich grundhaft erneuert werden. »Im Erdgeschoss unseres Mehrzweckgebäudes sollen ab März ein modernes Besucherzentrum mit Ticketschalter, eine Entreeausstellung und auch ein richtiger Shop eingerichtet werden«, sagt die Leiterin. Dabei werde man auch während der Baumaßnahmen Gedenkstätte und Museum ganzjährig offenhalten.

Während der Bund sich aus der Finanzierung von »Kriegsdenkmalen« ganz heraushält, und folglich für die Gedenkstätten im Osten nichts übrig hat, kommen vom Land wenigstens hin und wieder projektbezogene Zuschüsse. So sponsert das Bildungsministerium die Tätigkeit von Museumspädagogen. So kann Seelow seit dem Schuljahresbeginn mit dem Engagement von Kerstin Wachsmann rechnen. Die Geschichtslehrerin arbeitet am »Conrad-Wachsmann-Oberstufenzentrum« (OSZ) in Frankfurt (Oder). Dass sie jeweils donnerstags für fünf Stunden nach Seelow kommt, um insbesondere Schülern - auch ihren eigenen natürlich - mit diesem Teil der Geschichte ihrer eigenen Heimatregion vertraut zu machen, wird vom Land gefördert.

»Das OSZ ist eine berufsbegleitende Einrichtung, unsere Schüler sind zwischen 16 und 25 Jahren alt, also schon etwas reifer«, sagt die Pädagogin. »Viele von denen kennen die ganze Welt, nur ihre Heimatregion nicht.« In einem Seminarkurs sollen sich ihre Schüler wissenschaftliche Arbeitsmethoden aneignen. »Dazu eignet sich das Archiv der Gedenkstätte hervorragend.« Beim Auswerten von Besucherbüchern, wissenschaftlichen Arbeiten, Aufsätzen und Pressebeiträgen könnten sich ihre Schüler dort unter anderem auch mit Geschichte, Topographie, Geografie und Militärwesen auseinandersetzen. »Ich möchte, dass sie in den Dokumenten wühlen und lernen, sich selbstständig ein Urteil zu bilden.«

Am gesamten Denkmalskomplex ließe sich manche Veränderung herbeisehnen. Tobias Voigt sähe gern mehr authentisches Kriegsgerät - und zwar beider Kriegsparteien - in einer überdachten Halle. Die Sichtachsen hinunter ins Oderbruch sind heute zum Teil zugewachsen. Daran würde auch Kerstin Niebsch gern etwas ändern, um die historische Situation vom Frühjahr 1945 noch besser nacherlebbar zu gestalten. Für ausgefallene Wünsche fehlt es schlicht an Mitteln. Doch es geht darum, die Sinne der Besucher zu erreichen, und darüber auch ihren Verstand.

»Wir brauchen vor allem mehr Exponate, die man zeigen und auch anfassen kann«, sagt die Leiterin. Das jetzige Museum habe nur 82 Quadratmeter Ausstellungsfläche, und die sei zu zwei Dritteln der Entwicklung des Denkmals gewidmet. Das müsse sich ändern. Helfen würden schon Fotos aus den letzen Kriegswochen und der ersten Zeit nach der Schlacht. Persönliche Erinnerungen, Briefe, Fundstücke - aus Russland etwa meldeten sich jetzt Nachkommen von Kriegsteilnehmern. Vielleicht werde ja auch mancher »Oderbrücher« beim Stöbern auf dem Dachboden, im Schuppen oder in Fotoalben fündig.

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