Die neuen Russen

Aufenthalt in der zweiten Heimat verspricht gewaltige Steuerersparnisse

  • Elke Windisch, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Ornella Muti will es bald tun: Wie ein Moskauer Standup-Komiker russischen Medien steckte, hat die italienische Schauspielerin, die kürzlich mit ihm zusammen ein Musikvideo aufnahm, so gut wie alle Dokumente vorbereitet, die für den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft nötig sind. Die Verleihung ist Sache des Präsidenten und bei dem hat die 61-Jährige einen ähnlich dicken Stein im Brett wie er bei ihr. Um bei einem Wohltätigkeitsdinner in St. Petersburg an Wladimir Putins Seite zu sein, ließ Muti im Juli 2010 ein Engagement im norditalienischen Pordenone platzen. Angeblich hatte sie eine fiebrige Halsentzündung und brauchte fünf Tage Ruhe. Der Schwindel flog auf, das Gericht verurteilte Muti, die ein gefälschtes ärztliches Attest vorgelegt hatte, 2015 zu acht Monaten Haft und einer Geldstrafe von 600 Euro.

Seither soll die alternde Diva sich bevorzugt in Russland aufhalten, vermelden hiesige Klatschpostillen. Auch Blondinen sind durchaus in der Lage, sich - notfalls mit Smartphone - auszurechnen, was ein Russland-Aufenthalt von mehr als 183 Tagen per annum an steuerlichen Ersparnissen bringt. Egal ob Tellerwäscher oder Millionär: Der Fiskus will von beiden ganze 13 Prozent Einkommenssteuer.

Das hatte sich offenbar früh herumgesprochen. Schon 2011 war ein Landsmann Mutis Russe geworden: Der Dirigent und Pianist Fabio Mastrangelo. Sein griechischer Kollege Theodor Kurentsis ist seit 2014 stolzer Besitzer des roten Passes mit Doppeladler. Auf neue Russen wie diese könne man mit Fug und Recht stolz sein, schreibt die »Komsomolskaja Prawda«. Auf Gerard Depardieu dagegen, der 2013 eingebürgert wurde, treffe das eher nicht zu. Seine Liebe zu Mutter Heimat stellt der Franzose - auch er bekennender Steuerflüchtling - vor allem durch ein herzinniges Verhältnis zum russischen Nationalgetränk unter Beweis, womit er sich schon das Wohlwollen der grande nation verscherzte. Zwar lässt er sich gern im bestickten Russenhemd ablichten. Mit der Sprache indes hapert es nach wie vor. Das Bekenntnis, er habe eine russische Seele, lieferte er vorsichtshalber auf Französisch ab.

Tschetschenenhäuptling Ramzan Kadyrow, der Freund Gerard gerade Luxuswohnung in Grosny geschenkt hatte, war leicht geknickt. Zumal auch die hochfliegenden Businesspläne des Franzosen für Tschetschenien stets irgendwie im Sand verliefen.

Auch US-Schauspieler Steven Seagal, dem Putin Ende letzter Woche die russische Staatsangehörigkeit verlieh, will massiv in seine neue Heimat investieren. vor allem in eine Akademie für asiatische Kampfsportarten, ein Hobby, dem auch der Kremlchef frönt. Beide wurden mehrfach gemeinsam als Zuschauer bei Wettkämpfen gesehen. Seagal veranstaltete Meisterklassen für russische Kids, Putin wollte sich dafür mit der Ernennung Seagals als russischer Honorarkonsul für Kalifornien und Arizona revanchieren, holte sich aber bei Barack Obama einen Korb. Seagal, dessen Vorfahren väterlicherseits aus Wladiwostok stammen, war in Washington sowohl als Putin-Versteher als auch durch den Erwerb der serbischen Staatsbürgerschaft unangenehm aufgefallen. Einen Drittpass, ätzte der Moskauer Boulevard, werde er in der Mongolei beantragen, wo seine Wurzeln mütterlicherseits liegen.

Unter den Neubürgern sind viele Sportler. Fast alle holten bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi Edelmetall. Allein der Ex-Südkoreaner An Hen Su. der auch den Vornamen wechselte und sich Viktor An nennt, dreimal Gold und einmal Bronze. Russe ist seit Oktober 2015 auch Kampfsportler Jeff Monson, der sich als Anarcho-Kommunist auf den Säulen des Kapitols in Washington mit antikapitalistischen Losungen verewigt hatte. Inzwischen 47 steigt er bei Kämpfen gern mit Russlands Staatslied oder mit »Steh auf, Donbass« in den Ring: der Hymne der pro-russischen Separatisten in der Ostukraine. Viele Balltreter, die für russische Klubs spielen, wagten ebenfalls den Schritt vom Legionär zum Bürger. Auch ein deutscher: Roman Neustädter.

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