Uneinigkeit hinter der Front auf Rakka

USA in der Zwickmühle gegebener Versprechen an kurdische Volksverteidigungseinheiten und die Türkei

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist Mossul auf irakischem Gebiet die größte vom Islamischen Staat (IS) kontrollierte Stadt, so ist es auf syrischem Territorium Rakka. Die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements in Zentralsyrien ging den Regierungskräften im März 2013 verloren. Ein desertiertes Armeekontingent erklärte sich damals zum Teil der Freien Syrischen Armee (FSA) und übernahm die Macht in der Stadt, konnte sich aber nicht lange halten.

Anfang 2014 drängten IS-Dschihadisten der Nusra-Front, aus dem Ausland rekrutiert und aufgerüstet, die FSA aus der Stadt. Seitdem ist Rakka die Hauptstadt des ausgerufenen Kalifats in Syrien, wohlweislich mit Bezug auf die glorreichsten Kapitel der arabischen Geschichte. Kein anderer als der berühmte Abbasidenkalif Harun al-Raschid hatte im Jahre 796 Rakka für einige Jahre zur Hauptstadt seines Reiches gemacht.

Doch es gab mindestens genauso viele, im wahrsten Sinn »irdische« Gründe für den IS, sich des Gouvernements Rakka zu bemächtigen. Die Region liegt unterhalb des Euphrat-Stausees, mit dessen Wasser eine ertragreiche Landwirtschaft ermöglicht wird. Auch der IS-Kämpfer lebt nicht vom Koran allein.

Für die syrische Armee wäre Rakka auf absehbare Zeit kein Angriffsziel gewesen. Sie ist voll und ganz vom Kampf um Aleppo in Anspruch genommen. Sie ist nicht an dem Versuch, Rakka einzunehmen, beteiligt. Auch hätten die zur Eroberung Rakkas angetretenen Truppen sich wohl ohne Not nicht in eine Front mit Präsident Baschar al-Assads Armee begeben.

Das Heft in der Hand haben am Boden die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Syrien bzw. der Türkei. In deren Verbände integriert sind arabisch-syrische Assad-Gegner, zum großen Teil rekrutiert in den syrischen Flüchtlingslagern auf türkischem Boden, sodann in der Türkei ausgebildet, ausgerüstet und über die Grenze geschickt. Innerhalb der arabisch-kurdischen Allianz firmieren sie als Demokratische Syrische Kräfte und sind der Kern jener gemäßigten Opposition, die, so die Vorstellungen der USA, eines Tages Assad aus dem Amt treiben sollen. Beim Kampf um Rakka erhält die Allianz Luftunterstützung von den USA. Die Regierung Syriens, auf dessen Boden dieser Krieg stattfindet, wurde offiziell nicht über die Absichten der Allianz in Kenntnis gesetzt, geschweige denn, dass man sie um Erlaubnis für die Angriffshandlungen bat. Dennoch scheint Damaskus kein grundsätzliches Problem damit zu haben. Assad hätte in einem Interview, das er gerade der Londoner »Sunday Times« gab, ansonsten sicher etwas dazu gesagt.

Ein Problem mit der Allianz hat aber die Türkei, der es massiv missfällt, dass die Kurden offenbar dabei sind, eine syrische Großstadt ihrem Einflussbereich einzuverleiben. Gerade hatte die türkische Regierung geglaubt, im Sommer mit ihrem Einfall in Nordwestsyrien ein zusammenhängendes kurdisch-syrisches Staatsgebilde verhindert zu haben. Nun droht diese Gefahr erneut, und das auch noch mit Unterstützung der USA, die sich damit erneut in einer Zwickmühle befinden.

Am Sonntag traf US-Generalstabschef Joseph Dunford in Ankara ein, um mit seinem türkischen Kollegen Hulusi Akar zu verhandeln; eine schwierige Aufgabe. Sollte die Türkei nicht klein beigeben, womit bei der derzeitigen nationalistischen Woge im Lande kaum zu rechnen ist, sind aktuell nur zwei Optionen in Sicht: Entweder Washington bricht sein den YPG gegebenes Wort, die türkische Armee von der Offensive auf Rakka auszuschließen. Oder man riskiert eine tiefere Zerrüttung des Verhältnisses zu Ankara, als es die Nichtauslieferung des Predigers Fethullah Gülen an die Türkei darstellt.

Ankara wiederum möchte bei der Neuverteilung von Rakka auf keinen Fall abseits stehen. Das hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan erst Ende Oktober bekräftigt.

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