Chomskys Sorgen

In der Amtszeit von Barack Obama wurden die Fundamente für neue außenpolitische Probleme gelegt

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wer beherrscht die Welt?«, fragt Noam Chomsky in seinem neuesten Buch. Der Linguist und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit. Und er gehört seit Jahrzehnten zu den vehementesten Kritikern der US-amerikanischen Außenpolitik. Auch für das Erbe des scheidenden Präsidenten Barack Obama findet der 87-Jährige scharfe Worte und sieht am Ende dessen achtjähriger Amtszeit einen sicherheitspolitischen Scherbenhaufen. Dabei wollte Obama die Macht der Vereinigten Staaten neu definieren und Abschied nehmen von der Rolle des alten Weltpolizisten. Er machte Schlagzeilen mit kühnen Visionen wie jener von einer Welt ohne Atomwaffen. Und er hat durchaus Erfolge auf der internationalen Bühne zu verzeichnen, meist gegen den heftigen politischen Widerstand der Republikaner in Washington. Das historische Atomabkommen mit Iran gehört dazu, die vorsichtige Öffnung gegenüber Kuba oder eine veränderte Klimapolitik, die das Paris-Abkommen ermöglichte, das eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal zwei Grad vorschreibt.

Während der Abzug aus Afghanistan weiter stockt, erfüllte Obama sein Versprechen, den unpopulären US-Militäreinsatz in Irak zu beenden. Doch ohne Konzept für die Zeit danach breitete sich dort und in Syrien die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) aus. Chomsky befürchtet, dass so, wie man den Krieg gegen den IS führt, schon wieder das Fundament für neue Probleme gelegt wird. »Jedes Mal, wenn wir mit dem Vorschlaghammer draufhauen, wird es schlimmer.« Auch Libyen steht für die verheerenden Folgen einer solchen Politik. Weder Obamas Nahostpolitik noch seine bevorzugte Anti-Terrorstrategie haben gegriffen. Einiges davon sei wirklich furchtbar, sagt Chomsky, »nehmen wir nur die globale Mordstrategie«. Gemeint ist der vom Friedensnobelpreisträger befohlene massiv ausgeweitete völkerrechtswidrige Einsatz von Kampfdrohnen, der viele zivile Opfer kostet.

Außenpolitische Konfliktherde

Syrien: In dem sechsjährigen Bürgerkrieg sind mehr als 300 000 Menschen getötet worden, Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben. Durch die massive Militärintervention Russlands an der Seite von Machthaber Baschar al-Assad ist die Suche nach einer politischen Lösung für die USA erheblich erschwert worden. Die USA unterstützen vermeintlich gemäßigte Rebellengruppen mit Spezialkräften. Außerdem führen sie eine internationale Koalition an, die Luftangriffe in Syrien wie auch im Irak gegen die Dschihadisten des Islamischen Staats (IS) fliegt.

Anti-Terror-Kampf: Gut möglich, dass Mossul, die letzte IS-Hochburg in Irak, bereits zurückerobert ist, wenn das Weiße Haus im Januar neu bezogen wird. Besiegt wäre der IS damit noch lange nicht. Er würde auch danach noch weite Gebiete halten, vor allem in Syrien, wo in Rakka ein weiterer Kampf um eine IS-Hochburg tobt. Die territoriale Zurückdrängung der Dschihadisten birgt zudem die Gefahr, dass sie verstärkt auf Terroranschläge setzen. Auch die USA sind seit vergangenem Jahr wiederholt zum Opfer mutmaßlich islamistisch motivierter Angriffe geworden. AFP/nd

Die viel beschworene Friedensdividende nach Ende des Ost-WestKonflikts wurde längst aufgebraucht. Die nukleare Gefahr ist nicht gebannt, und nicht nur Chomsky findet es geradezu »irre«, dass gerade dieses Problem nicht diskutiert wird. Das Verhältnis zwischen Washington und Moskau hat einen Tiefpunkt erreicht, manche Analysten sprechen sogar von einem neuen Kalten Krieg. Auch die Beziehungen zu China, dem größten geostrategischen Konkurrenten der USA , sind angespannt, die zu Israel, Saudi-Arabien und der Türkei, bisher wichtige Partner in der nach wie vor konfliktträchtigsten Region der Welt, stark belastet. Selbst das Verhältnis zu den meisten europäischen Bündnispartnern mit ihrem fundamental anderen Verständnis von Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit ist nach dem NSA-Skandal gestört. Die Ära der Pax Americana geht zu Ende. Der designierte UN-Generalsekretär António Guterres setzt da auf eine enge Zusammenarbeit mit Washington. »Ich glaube, dass die Kooperation zwischen den USA und den Vereinten Nationen ein Schlüsselfaktor ist, um die gegenwärtige Weltlage zu verbessern.«

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