Zu wenig Druck von unten

Der deutsche Wasserball versinkt in der Bedeutungslosigkeit und muss nun den Ausfall von Fördergeldern fürchten

  • Klaus Weise
  • Lesedauer: 4 Min.

Wasserball wird mit sieben Akteuren gespielt: sechs im freien Becken und einem Torwart. Dennoch taugt es ungeachtet der unterschiedlichen Regularien zur spezifischen Anwendung des berühmten Gary Lineker-Spruchs vom Fußball als Kampf von 22 Spielern, bei dem am Ende immer Deutschland gewinnt. Nur, dass im Wasser der Ausgang seit gut zwei Jahrzehnten genau umgekehrt ist: Deutschland verliert fast immer. National gibt es mangels fehlender Konkurrenz eine kleine Abwandlung: hier siegen seit 1979 (fast) immer die Wasserfreunde Spandau 04 aus Berlin.

Das könnte sich jetzt ändern. Am Samstag tritt Waspo Hannover am 2. Spieltag der Deutschen Wasserball-Liga (DWL) in Berlin beim Triplegewinner (Meisterschaft, Pokal und Supercup) an. Die Niedersachsen haben personell gewaltig aufgerüstet und wollen den 35-maligen Champion und 31-fachen Pokalsieger zum zweiten Mal nach 1993 und zum insgesamt vierten Mal (2006 gewann der SV Cannstatt, 2013 der ASC Duisburg) vom Meisterthron stürzen.

Ansonsten kann man den Zustand des deutschen Männerwasserballs mit einer großen Portion Ironie versehen als »märchenhaft« bezeichnen. Alles, was zu sagen ist, beginnt stets mit: »Es war einmal …« Die Bundesrepublik war in den 80ern Wasserball-Großmacht, zweimal Europameister (1981, 1989), WM- und Olympiadritter (1982 bzw. 1984) sowie Weltpokalsieger 1985. Mit der deutschen Einheit kam das Ende der Herrlichkeit. Das glückliche EM-Bronze 1995 in Wien blieb bis heute die letzte Medaille bei internationalen Meisterschaften.

Ein paar achtbare Resultate zwischendurch - wie etwa Platz 5 bei Olympia 2004 in Athen - waren beim steten Abstieg in die Mittelmäßig- und Bedeutungslosigkeit nur hinderliche Balken beim ehrlichen Blick auf die Realität. Die lautet in diesem Jahrtausend: Olympia 2000 nicht dabei, 2008 Zehnter, für 2012 und 2016 nicht qualifiziert. Auch bei Weltmeisterschaften ging es nie über Rang 6 hinaus, und 2015 war die Nationalmannschaft in Kasan gar nicht mehr dabei. Auch bei Europameisterschaften reichte es höchstens mal zu Platz fünf.

Dass sich daran kurz- oder mittelfristig etwas ändert, ist angesichts der Nachwuchsprobleme unwahrscheinlich. Seit Jahren haben Jugend-Auswahlmannschaften international - so überhaupt qualifiziert - keine einstelligen Plätze mehr belegt. »Es gibt viel zu wenig Druck von unten, kaum überdurchschnittlichen Nachwuchs, keine motivierenden Perspektiven für die wenigen Talente und damit eine hohe Aussteigerquote«, sagt Hagen Stamm, einst Weltklassespieler, später zwölf Jahre lang Bundestrainer und heute Präsident von Spandau 04. Für die anstehenden Weltligaspiele ist er noch mal als Interimscoach des Nationalteams eingesprungen. Gemeinsam mit Hannovers Uwe Brinkmann steht er am 15 November zunächst in Kosice beim Spiel gegen die Slowakei am Beckenrand.

Stamm will dem Deutschen Schwimm-Verband damit aus der Bredouille helfen, in die der DSV nach dem Rückzug des in der Olympiaqualifikation für Rio gescheiterten Bundestrainers Patrick Weissinger gerutscht ist. Noch hat der finanziell eher klamme Verband keinen neuen Chef parat, der Kompetenz, Vision, Reputation, Autorität und Bezahlbarkeit im Paket mitbringt. Der Montenegriner Petar Porobic, der sein kleines Land zur Größe im Weltwasserball gemacht hat, winkte ab, weil ihm die Konditionen nicht behagten.

»Wir sind eine Randsportart am Rande des Randes«, sagt Stamm, der das aus eigener Spielerkarriere noch anders kennt. 1981 war die Wasserballauswahl bundesdeutsche Mannschaft des Jahres, die Wasserfreunde Spandau gewannen die Westberliner Wahl sogar 11 Mal in den 80er und 90er Jahren, dazu Frank Otto und Torwart Peter Röhle auch noch in der Männer-Individualwertung. Nun ja: »Es war einmal …«

Schafft es Hannover, die nationale Dominanz der Spandauer zu beenden, wäre das vielleicht das Ende einer Ära. Waspo wird von der Konkurrenz als »Millionentruppe« apostrophiert, agiert nach der Devise »klotzen, nicht nur kleckern« und hat für deutsche Verhältnisse gleich erstaunlich viele internationale Stars verpflichtet. Vier aus Montenegro, andere aus Serbien, Spanien und den Niederlanden. Vor Kurzem hat sich das Team erstmals für die Hauptrunde der Champions League qualifiziert und wird dort auch auf Spandau treffen, das seinen Jahresetat mit rund einer halben Million Euro beziffert. Der OSC Potsdam, dies sei als weiterer Beleg für die Mehr-Klassen-Gesellschaft im Wasserball angeführt, muss als Meisterschaftsfünfter mit 70 000 Euro auskommen.

Wie es mit dem Nationalteam weitergeht, ist offen. Der Verband kann noch nicht abschätzen, über welche Mittel er verfügen wird, wie viele Stützpunkte es geben wird, auf welche Personen er bauen kann, das alles kann erst geklärt werden, wenn die Reform der Spitzensportförderung vom Deutschen olympischen Sportbund und der Bundesregierung beschlossen wird? Da die Unterstützung enger an Medaillenpotenziale geknüpft werden soll, kann sich die Wasserballsparte des DSV kaum Hoffnungen auf eine Budgeterhöhung machen.

Neuer Wasserballwart ist seit vergangenem Wochenende Rainer Hoppe. Der 54-Jährige malte zum Amtsantritt ein interessantes Lagebild: »Wenn Wasserball ein Flugzeug wäre, würde aktuell kein Passagier einsteigen. Wir müssen die Maschine zunächst flugfähig machen. Wenn das passiert ist, können wir wieder einen geregelten Flugbetrieb anbieten. Dann werden wir sehen, wo wir landen.«

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