Künstliche Intelligenz

Smarte Worte Nr. 20: Was ist Intelligenz? Erfüllt die Maschine, der »intelligentes« Tun nachgesagt wird, nicht bloß eine Funktion, die vom Menschen zuvor implementiert werden musste?

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Foto: Grafik von Michael Heidinger
Foto: Grafik von Michael Heidinger

Es gibt nicht viele Begriffe, mit denen sich große Fortschrittshoffnungen, Weltuntergangsprophetie und allerlei Missverständnis gleichermaßen verbinden – Künstliche Intelligenz (KI) gehört dazu. Unter KI wird in der Regel ein Teilgebiet der Informatik verstanden, in dem es darum geht, eine menschenähnliche Intelligenz per Computer nachzubauen, um so Maschinen in die Lage zu versetzen, eigenständig Probleme zu bearbeiten. Unterschieden wird zwischen starker KI und schwacher KI, wobei die starke KI eine »Intelligenz« anstrebt, in der das vollständige menschliche Denken nachempfunden ist.

Die schwache KI dagegen befasst sich mit einzelnen Anwendungsproblemen, es geht ihr darum, »intelligentes« Verhalten zu simulieren. Teilbereiche sind etwa die Mustererkennung bei Bildern und Sprache oder wissensbasierte Systeme, die aus formalisierter Fachkenntnis logische Schlüsse ziehen und Antworten geben können. In der Robotik geht es um manipulative Intelligenz, also die Fähigkeit, bestimmte Tätigkeiten selbstständig auszuüben.

Zentrale Anforderungen an Künstliche Intelligenz sind Lernfähigkeit, die Kompetenz, mit Unsicherheit umzugehen und Wahrscheinlichkeitsaussagen zu treffen. Vor allem auf dem Gebiet des maschinellen Lernens sind zuletzt große Fortschritte gemacht worden, künstliche Systeme können immer besser aus Beispielen lernen, Muster in Daten finden und die so gewonnenen »Erkenntnisse« verallgemeinern.

Mit der Künstlichen Intelligenz sind eine Reihe von definitorischen Problemen verbunden – zum Beispiel die Frage: Was ist Intelligenz? Erfüllt die Maschine, der »intelligentes« Tun nachgesagt wird, nicht bloß eine Funktion, die vom Menschen zuvor implementiert werden musste? (Ad Aertsen) Die Forschung zur starken KI »krankt« zudem daran, dass es an hinreichenden Abgrenzungen etwa von Konzepten wie »Bewusstsein« mangelt – zugleich steht sie aber in einer bis zur Aufklärung zurückreichenden Tradition der Idee des »Menschen als Maschine«. Hier dockte der bisher erfolglose Ansatz an, per Reverse Engineering das menschliche Gehirn quasi »nachzubauen«.

Begonnen hat alles übrigens Mitte der 1950er Jahre – mit einem Antrag, der die Finanzierung eines Forschungsseminars am Dartmouth College in Hanover im US-Bundesstaat New Hampshire sicherstellen sollte. Formuliert von John McCarthy war darin zugleich der Begriff Künstliche Intelligenz erstmals umrissen worden: »Es soll versucht werden herauszufinden, wie Maschinen dazu gebracht werden können, Sprache zu benutzen, Abstraktionen vorzunehmen und Konzepte zu entwickeln, Probleme von der Art, die zurzeit dem Menschen vorbehalten sind, zu lösen und sich selbst weiter zu verbessern. « Beteiligt an dem Projekt waren viele Pioniere der Computerentwicklung und Informatik, darunter Marvin Minsky, Nathaniel Rochester und Claude Shannon. Damalige Vorstellungen über die Geschwindigkeit, mit der Antworten gefunden werden könnten, erwiesen sich als viel zu optimistisch.

Die Forschung zur und die Debatte über Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen Jahren spürbar angezogen, was mit besseren technischen Möglichkeiten beim auch wirtschaftlichen Umgang mit sehr großen Mengen von Daten zu tun hat. Autonome Autos, sprechende Smartphones, Computer, die Texte lesen, schreiben oder Sprachen übersetzen, sind so alltäglich wie der Einsatz humanoider Roboter schnell voranschreitet.

Visionäre und dystopische Vorstellungen stehen sich in der Debatte über Künstliche Intelligenz gegenüber. Auf der einen Seite etwa die Idee eines für die gesamte Menschheit segensreichen Fortschritts, der soziale, medizinische, ökologische und ökonomische Probleme löst – bis hin zur Überwindung des natürlichen Todes. Wie eine solche Zukunft aussehen mag, ist aber gerade auch wegen der sich entwickelnden Künstlichen Intelligenz unklar. Die Idee der technologischen Singularität beschreibt einen Zeitpunkt, über den »wir Menschen« nicht prognostizierend hinausblicken können, weil dann »die Maschinen« per Künstlicher Intelligenz einen Entwicklungsstand erreicht haben, der sich den derzeit bekannten Vorstellungen entzieht. Mit dieser Vorstellung korrespondiert das Untergangsszenario, demzufolge eine Computerintelligenz den Menschen irgendwann als Störfaktor ansehen und sogar vernichten könnte, wie es in dem 2016 erschienenen Buch »Evolution ohne uns: Wird Künstliche Intelligenz uns töten?« ausgemalt wird.

In einem Ausschuss des Europaparlaments war 2016 davon die Rede, dass wir »an der Schwelle einer Ära« stehen, in der »immer ausgeklügeltere Roboter, Bots, Androiden und sonstige Manifestationen Künstlicher Intelligenz anscheinend nur darauf warten, eine neue industrielle Revolution zu entfesseln, die wahrscheinlich keine Gesellschaftsschicht unberührt lassen wird«. Auch Wissenschaftler wie Stephen Hawking oder Unternehmer wie Elon Musk haben sich warnend geäußert. In einem 2015 veröffentlichten »Digitalen Manifest« riefen ExpertInnen unterschiedlichster Fachbereiche »zur Sicherung von Freiheit und Demokratie« auf, weil eine »Automatisierung der Gesellschaft mit totalitären Zügen« wahrscheinlich sei – »im schlimmsten Fall droht eine zentrale Künstliche Intelligenz zu steuern, was wir wissen, denken und wie wir handeln«. Der Publizist Thomas Wagner hat vor einiger Zeit vor dem Aufziehen einer »Robokratie« gewarnt.

Dem stehen Betrachtungen gegenüber, wonach die Künstliche Intelligenz heute »zwar besser als natürliche Dummheit« sei, aber: »Die menschliche Intelligenz ist doch bei weitem überlegen« (Wolfgang Wahlster). Ohnehin käme es unter dem Strich vor allem darauf an, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen (Produktionsverhältnissen) intelligente Maschinen eingesetzt und gesteuert werden. Eine Welt voller Künstlicher Intelligenz, in der etwa die Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums nach denselben Regeln funktioniert wie heute, wäre eine gar nicht so verschiedene Welt. Und ob KI-Systeme zu mehr Umweltschutz oder zu mehr Überwachung beitragen, ist auch eine politisch entscheidbare Frage. Oder um es mit Neil Jacobstein von der Stanford University zu sagen: Man muss wegen Künstlicher Intelligenz nicht nachts vor Angst wach liegen, wovor man sich fürchten muss, ist die menschliche Dummheit. (tos)

Zum Weiterlesen:

Stiftung für Effektiven Altruismus: Künstliche Intelligenz – Chancen und Risiken, Diskussionspapier, 2015, unter: https://ea-stiftung.org/kuenstliche-intelligenz/.

Künstliche Intelligenz: Ist das schon Denken?, Chaosradio Podcast, 1.4.2016, unter: https://chaosradio.ccc.de/cr221.html.

Schlieter, Kai: Die Herrschaftsformel. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert, Frankfurt a.M. 2015.

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