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Dem neoliberalen Lufthansa-Management Grenzen setzen

Elmar Wigand hält den Ausstand der Lufthansa-Piloten für richtig: Sonst würde die Zerschlagung des Unternehmens keine Einhalt geboten

  • Elmar Wigand
  • Lesedauer: 3 Min.

Grundsätzlich gibt es zwei Arten, die Geschichte der Menschheit zu betrachten. Einerseits schreitet sie durch technologischen Fortschritt beständig voran: Selbst Flüchtlinge in Schlauchboten tragen heute Adidas-Rucksäcke und sind über Smartphones vernetzt. Andererseits dreht sich die Geschichte doch beständig im Kreise. Ein schönes Beispiel für die Auffassung, dass wir - seit unsere Vorfahren sich entschieden, auf die Arme als Gehhilfe zu verzichten - möglicherweise in einem Rad der ewigen Wiederkehr gefangen sind, dass Smarphones und Adidas doch nur schmückendes Beiwerk sind, lieferte in dieser Woche ein gewisser Rüdiger Fell. Er sitzt im Betriebsrat des Frankfurter Flughafens und organisierte eine Anti-Streik-Demo von rund 200 Flughafenbeschäftigten. Solche Ereignisse gibt es seit Bestehen der Arbeiterbewegung und sie gehören zu den demütigendsten Beispielen für Selbsthass und Verwirrung innerhalb der arbeitenden Bevölkerung. Im Englischen würden Fell und seinesgleichen als »Union Scabs« bezeichnet - was im deutschen mit »Streikbrecher« nur unzureichend übersetzt ist. Britische wie US-amerikanische Arbeiter verziehen beim Aussprechen des Wortes den Mund, als hätten sie saure Milch geschluckt. Meist fällt auch das Adjektiv »lousy«, zu deutsch: lausig.

Es waren die üblichen Stanzen zu hören, die von arbeitgebernahen Stichwortgebern wie »Bild«, »Manager-Magazin«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« bei allen effektiven Streiks reproduziert werden: Der Arbeitskampf als Geiselnahme, hohe Lohnforderungen als unsolidarische Privilegien einer kleinen Berufsgruppe, Nestbeschmutzung und Rufschädigung. Reflexartig ist seit einigen Jahren auch der Ruf nach autoritärem Durchgreifen zu hören: Streikverbote in der Daseinsvorsorge.

Für mich als Union Busting-Forscher war von den vorgebrachten Versatzstücken nur eines neu: »Was immer die Piloten herausholen, muss am Ende des Tages an anderen Stellen im Unternehmen gegenfinanziert werden«, ließ sich Fell zitieren. In der Schüssel ist nur eine begrenzte Menge Suppe - mit dem Argument sprang Fell quasi direkt ins Jahr 1865 zurück. Damals hielt Karl Marx ein Grundsatzreferat vor der Internationalen Arbeiterassoziation, das als »Lohn, Preis, Profit« bekannt wurde. Marx trat irrigen Auffassungen entgegen, die sich damals unter Sozialisten breit machten und von Fells historischem Vorgänger, einem »Bürger Weston«, propagiert wurden: Hohe Lohnforderungen bei Streiks seien verkehrt, weil die Lohnsuppe volkswirtschaftlich nun einmal begrenzt sei, so dass erfolgreiche Gewerkschaften lediglich den weniger kampfstarken Branchen ihren Anteil weg nähmen. Damals wurde Marx wohl klar, dass er noch mal ganz von vorn anfangen müsste. Sein Vortrag geht bis zum römischen Patrizier Menenius Agrippa zurück und dauerte mehrere Stunden.

Nun ist die Luftfahrt-Suppe tatsächlich begrenzt, mag man einwenden. Vom ökologischen Standpunkt ist sogar zu wünschen, dass die Schüssel kleiner wird. Hier kommt der Profit ins Spiel. Profit ist einbehaltener Lohn. Ihn gilt es umzuverteilen und davon hat die Lufthansa offenbar noch eine ganze Menge: genau 1,4 Milliarden Euro im Jahr 2016. Marx’ Botschaft an die Bürger Fell und Weston war: »Wenn irgend etwas die Arbeiter hindert, mehr aus der Schüssel herauszuholen, ist es weder die Enge der Schüssel noch die Dürftigkeit ihres Inhalts, sondern einzig und allein die Kleinheit ihrer Löffel.« Der Umkehrschluss wäre außerdem irrsinnig: Wenn die Lufthansa-Piloten nicht erbittert Widerstand leisteten, würde das Management seine aggressive Manöver zur Zerschlagung des ehemaligen Staatsbetriebs und Auslagerung möglichst vieler Bereiche an Billigairlines keineswegs stoppen, sondern mit doppelter Wucht betreiben. Wer daran zweifelt, möge das Schicksal der Deutsche Post betrachten.

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