Das Risiko der Handarbeit

Thüringens Staatswald soll das FSC-Siegel bekommen - was heißt das für die Forstleute?

  • Sebastian Haak, Bad Berka
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Harvester bringt den Baum mit einer Leichtigkeit zu Fall, als wäre der mehrere Zentimeter dicke Holzstamm ein Streichholz. Selbst, als der Baum in die falsche Richtung zu fallen droht, ist das für die viele Tonnen schwere und mehrere hunderttausend Euro teure Maschine kein Problem. Der Harvester hält den Stamm einfach fest, dreht seinen Arbeitskopf, in den der Stamm eingeklemmt ist, ein wenig zur Seite und gibt dem Holz damit die gewünschte Fallrichtung.

Wäre der Baum von Hand gefällt worden, sagt der Sprecher des Vorstands des Thüringer Forsts, Volker Gebhardt, hätte ihn nichts davon abhalten können, »falsch« zu fallen. Was dann entweder bedeutet hätte, dass er mühsam, mit weiterem Sägen und Seil aus der Krone eines anderen Baums hätte befreit werden müssen. Oder aber, dass er zu einem großen Risiko für die an ihm arbeitenden Forstleute geworden wäre. »Da braucht es nicht viel«, sagt Gebhardt und macht eine Faust. Schon ein Stamm mit dem Durchmesser einer Faust, der aus zwanzig oder dreißig Metern einen Mann treffe, genüge, um diesen zu töten. »Da hilft auch kein Helm.«

Gebhardt hat deshalb zum Einsatz von Technik bei der Holzernte in Thüringen eine eindeutig Meinung. »Alles, was man mit Technik machen kann, sollte man auch mit Technik machen«, sagt er.

Nicht nur aus Gebhardts Sicht ist es deshalb ein großes Problem, dass in Thüringens Wäldern ziemlich sicher wieder mehr Bäume von Hand gefällt und zersägt werden müssen, wenn wirklich umgesetzt werden sollte, was im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag steht: die FSC-Zertifizierung des Staatswaldes im Freistaat. FSC-zertifizierte Wälder werden nach Angaben des Forest Stewardship Council - also jener Organisation, die das Siegel verleiht - nach besonderen ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien bewirtschaftet. Natürlich müssen diese von denen auch eingehalten werden, die das Siegel wollen. Das Vorhaben, bei dem es vor allem um Nachhaltigkeit geht, war auf Druck der Grünen in den Koalitionsvertrag der Thüringer Landesregierung gelangt.

Für den Arbeitsalltag in Thüringens Wäldern hieße das unter anderem: Statt wie bisher etwa alle 24 Meter eine sogenannte Rückgasse zu nutzen, auf denen die Harvester fahren können, dürften solche Gassen nur noch alle etwa 48 Meter genutzt werden - wodurch zwischen diesen Gassen eine Fläche entstehen würde, die Harvester nicht mehr erreichen können. Die Reichweite ihrer Arbeitsarme ist beschränkt. In dieser Zwischenfläche müsste dann wieder von Arbeiterhand Holz gemacht werden. Dieses Areal wäre dann eine Risikofläche.

Ob sich das wirklich für Thüringer Wälder verantworten lässt? Und was das genau für die Kosten der Holzernte bedeuten würde? Das sind zwei der zentralen Fragen, die in einem seit Oktober laufenden Pilotprojekt beantwortet werden sollen, für das neben der Waldfläche bei Weimar auch Areale im Forstamt Oberhof und im Forstamt Jena-Holzland in Anlehnung an FSC-Standards bewirtschaftet werden. Der Forst und der Freistaat wollen so möglichst passgenaue Erfahrungen für Thüringen sammeln; statt auf Daten von Waldflächen außerhalb des Freistaats zurückgreifen zu müssen.

Wie Gebhardt sieht allerdings auch der Vorsitzende des Forstunternehmerverbandes Thüringen, Sven Butzert, ein erhöhtes Risiko für Thüringer Waldarbeiter, sollte das FSC-Siegel in Thüringen kommen. Da gebe es nichts mehr groß zu erforschen, sagt er. Die Statistiken der zuständigen Berufsgenossenschaft seien eindeutig. »Maschinenarbeit ist sicher«, sagt er. »Ein Risiko gibt es eigentlich nur beim Zusammenspiel von händischer und maschineller Arbeit.« Immerhin habe er den Eindruck, dass die Landespolitik solche Einwände inzwischen ernst nehme, sagt Butzert. Im ersten Quartal 2017 sollen die Ergebnisse des Pilotprojektes vorliegen.

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