Europas Mosaiklinke rauft sich zusammen
Auf ihrem 5. Parteitag versuchten die europäischen Linksparteien, trotz Differenzen eine Einheit zu bilden
Die Fotografen scharren bereits mit den Füßen. Doch bevor Gregor Gysi wie erwartet zum neuen Vorsitzenden der Partei der Europäischen Linken (EL) gewählt wird, gibt es nach zwei Tagen Konferenz doch noch eine Debatte. Dieter Dehm, Schatzmeister der EL und Bundestagsabgeordneter der LINKEN, stürmt vor der Abstimmung auf das Podium und beschwert sich, dass der zukünftige Präsident und seine vier Vizepräsidenten nur als Liste und nicht als Einzelpersonen gewählt werden können.
»Demokratie hat etwas mit Wahlen zu tun, auch wenn dass einige Parteien in der Vergangenheit anders gesehen haben«, sagt er ins Mikrofon. Unter den Delegierten der Linksparteien, darunter mindestens fünf, die in ihren Logos noch Hammer und Sichel tragen, bricht Gemurmel aus. Es gibt für die komplizierten Posten keine Gegenkandidaten, und so beschließt der Saal letztlich knapp die Listenwahl. Der Vorschlag des Vorstandes wird daraufhin angenommen.
Dass es keine weiteren Bewerber gab, mag nicht überraschen. In der Europäischen Linkspartei mit 31 Mitgliedern und Beobachterparteien sammeln sich die verschiedensten linken Strömungen, darunter orthodoxe Parteien und solche, die aus neuen sozialen Bewegungen entstanden sind. Teilweise haben sie gegensätzliche Interessen, Uneinigkeit herrscht vor allem im Hinblick auf die EU. Dies spiegelte sich auch in den Dutzenden rund fünf Minuten dauernden Stellungnahmen der einzelnen Länderdelegierten. Meist wurden dabei nur Erfolge oder Probleme der Nationalparteien vorgestellt.
Ein Delegierter aus Zypern klagte etwa, dass im Falle des Scheiterns der Friedensverhandlungen mit dem türkischen Part der Insel rechte paramilitärische Gruppen entstehen könnten. Declan Kearney von der irischen Sinn Fein forderte einen Sonderstatus für Nordirland in der EU. Nach dem Brexit sei die »Wiedervereinigung wieder auf dem Tisch«. Man erkenne nicht an, dass die Stimmen der englischen Wähler wichtiger seien als die der nordirischen, die sich mehrheitlich für einen Verbleib in der EU ausgesprochen hatten.
Ein Delegierter der ungarischen Arbeiterpartei beschwerte sich wiederum, dass sich die juristischen Grundlagen für oppositionelle Arbeit immer weiter verschlechtern würden. Neumitglieder in Parteien dürften beispielsweise nur noch durch eine Generalversammlung aufgenommen werden. Der griechische Ministerpräsident und SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras zeigte sich kämpferisch: »Das griechische Volk hat mittlerweile genug Opfer gebracht, nun sind die Gläubiger dran.«
An vielen Stellen in Europa brodelt es, die meisten linken Parteien haben mit eigenen Problemen zu kämpfen. Dennoch schafften es die Delegierten, ein 19-seitiges politisches Grundsatzdokument mit Handlungsleitlinien als Kompromiss zu verabschieden. Die Einsicht auf eine pure Notwendigkeit von europäischer Solidarität schien sich durchgesetzt zu haben. Das Dokument fordert demnach die »Schaffung einer breiten populären und progressiven linken Front gegen die extreme Rechte und den Faschismus«.
Ziel sei laut dem Papier »ein Europa, dass es den Menschen ermöglicht, die Kontrolle über ihre ökonomischen Entscheidungen zu übernehmen.« Auch Geschlechtergerechtigkeit, eine »drastische Reduktion« der CO2-Emissionen sowie eine Reduzierung der Arbeitszeit bei angemessener Bezahlung strebe man an.
Um den Vernetzungsprozess der europäischen Linksparteien zu intensivieren, beschlossen die Delegierten, sich nicht nur wie bisher alle drei Jahre auf einem Parteitag zu versammeln. Zukünftig soll sich nun jährlich im Rahmen eines Forums getroffen werden. Entscheidend seien jedoch nicht noch weitere Analysen, sondern brauchbare Konzepte, die sich an der Lebensrealität der Menschen orientieren, warnte Martina Michels, Abgeordnete für die LINKEN im EU-Parlament. »Die Alternativen sind selten konkret und so, dass sie Menschen mitnehmen und begeistern.«
Auf der Konferenz gab es zumindest ein paar Vorschläge. Die italienische Delegierte Giovanna Capelli rief etwa die Linksparteien auf, am 8. März 2017 einen Generalstreik der europäischen Frauen gegen Gewalt zu unterstützen. Das finnische Linksbündnis warb für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, ein Delegierter schlug einen Marsch auf Brüssel gegen Prekarität vor.
Aufbruchsstimmung blitzte zwischendurch immer mal wieder auf, vor allem bei Parteien wie der britischen Left Unity, die der EL neu beigetreten waren. Gegen Ende rief selbst die bekennende EU-Kritikerin Marisa Matias vom portugiesischen Linksblock auf, sich nicht von der Gretchenfrage zur Rolle der Staatenunion lähmen zu lassen: »Wir können uns nicht länger leisten, in dieser Spannung zu verharren und ein Instrument für ein solidarisches Europa zu verlieren.«
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