Die Sicherheit am Hindukusch verspielt

Uwe Kalbe über die Aussichten des liberalen freien Westens

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Donald Trump hat dem Terrorismus unverzüglich den Krieg erklärt, noch bevor die deutschen Sicherheitsbehörden die Tat und den Hintergrund des Anschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verifizieren konnten. Die Terroristen, ihre regionalen und weltweiten Netzwerke müssten vom Erdboden getilgt werden: »Ein Auftrag, den wir gemeinsam mit allen freiheitsliebenden Partnern durchführen werden.«

Die deutsche Politik wird sich sicher sehr bald abgewöhnen, den designierten USA-Präsidenten als Populisten abzutun. Es gibt auch ausreichend viel paralleles Denken. Nach dem Anschlag rief nach kurzem Atemholen der erste Innenminister den Kriegszustand in Deutschland aus; wie dies in Frankreich auch nach den Anschlägen vom 13. November letzten Jahres in Paris geschah. Klaus Bouillon (Saarland) wählte eine martialische Beschreibung der eigenen Fähigkeiten. Langwaffen, Kurzwaffen, schweres Gerät …

Es wird nichts nützen. Der Krieg gegen den Terror wurde vor 15 Jahren ausgerufen. Er hat den Terrorismus nicht gemindert, sondern geschürt. Und er hat Menschenmassen in panische Bewegung versetzt, eine Völkerflucht ausgelöst, keine Völkerwanderung. Deshalb ist auch die Klage über eine angebliche Politik offener Grenzen grundfalsch. Nicht nur, weil es eine solche Politik gar nicht gibt. Sondern auch, weil selbst hermetisch verriegelte Grenzen die Terrorgefahr nicht tilgen könnten. Offene Grenzen seien der Grund dafür, dass der Terror nach Deutschland gefunden hat, das ist die Hauptthese. Nicht nur Populisten vertreten diese, wie man weiß. AfD-Chefin Frauke Petry spricht von einem importierten »Milieu«, in dem solche Taten gediehen. Das klingt nach Terrorprekariat oder wie man früher vielleicht gesagt hätte, nach Mordgesindel.

Immerhin stimmt es, dass mit dem vagabundierenden Elend, das da zu einem Teil auch Deutschland erreicht hat, Hass und Verzweiflung heranziehen, Menschen, die nicht nur einen Ausweg suchen, sondern auch ihre Erklärungen mitbringen für das Elend, dem sie entfliehen. Und seien diese Erklärungen rational oder nicht; sie sind gehärtet in Erfahrungen, die meist verstörender sind als die Ängste, die man in Deutschland seit Montag beim Besuch eines Weihnachtsmarktes empfinden kann.

Gern würde man deshalb den moralisch standhaften Wertebewahrern des Westens zustimmen, die vor Populisten warnen, weil diese nicht weniger als die Täter des Terrors Krisengewinnler seien. Hand in Hand agierten sie im Ruf nach Gesetzesverschärfungen mit den Mördern, und mit ihrem Kriegsgeschrei richteten sie die liberale, freie, westliche Gesellschaft zugrunde. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Westen ist samt seinen Freiheitsvorstellungen nicht zu retten, nicht als Insel in einem Meer des Elends.

Grundübel ist das Meer des Elends selbst. Und der übermächtige politische Konsens lautet, dass die Welt erst dann akzeptabel sei, wenn sie nach westlichem Vorbild gestaltet ist. Gewaltsam. Nach dieser Logik wird die Sicherheit des Westens am Hindukusch verteidigt, wie es der einstige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) formulierte. Doch die Idee, den Feind auszulöschen, produziert immer nur neue Feinde und ist unmenschlich genug, dass diese Feinde zu unmenschlichem Handeln immer neu motiviert werden.

Richtig ist deshalb vielmehr, dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verspielt wurde. Und zuvor schon in Jugoslawien, dem ersten Sündenfall des Westens nach dem Zusammenbruch des Warschauer Vertrags vor 26 Jahren. Seither schon ist Krieg kein Wort mehr, das das Leiden ferner Regionen beschreibt. Die Flüchtlinge sind nur eine Erinnerung daran.

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