Gefährder ab nach Guantanamo?

Terroristenabwehr zwischen Angst, einfachen Parolen und rechtsstaatlichen Lösungen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Nacht zu Freitag war Anis Amri, der mutmaßliche Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, in Mailand erschossen worden. Noch immer gibt es offene Fragen zu dem islamistisch geprägten Anschlag, der zwölf Menschen das Leben kostete und bei dem viele Weihnachtsmarktgänger zum Teil schwer verletzt wurden. Die Bundesanwaltschaft versucht nun, von den italienischen Behörden etwas über die Waffe zu erfahren, die der als Gefährder eingestufte Amri bei sich trug. Auch forscht man nach möglichen Helfern, die ihm bei der Flucht aus Deutschland via Frankreich nach Italien halfen. Überwachungskameras auf dem Bahnhof Lyon Part-Dieu zeigen ihn alleine.

Unterdessen wird die Frage immer drängender gestellt, warum sich ein Gefährder so frei bewegen konnte. Zu einfach scheint manche rasche Antwort. SPD-Vize Ralf Stegner beispielsweise fordert via »Welt« Abschiebehaft für sogenannte Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt wurde. »Wer die allgemeine Sicherheit gefährdet, darf nicht auf freiem Fuß unterwegs sein.« Klingt logisch. So wie die Forderung von CDU-Vize Armin Laschet, der die Abschiebehaft für gefährliche abgelehnte Asylbewerber »maximal ausdehnen« will.

Die Schwierigkeiten des Rechtsstaates beginnen aber schon beim Begriff »Gefährder«. Eine juristische Definition gibt es nicht, wohl aber findet man Gefährder oder auch »relevante Person« in allen Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität: rechts, links, islamistisch. Die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt entscheiden - mit Ratschlag der jeweiligen Verfassungsschutzämter - darüber, wen sie auf die Liste setzen. Das BKA listet mehr als 540 in- und ausländische Islamisten als mögliche Gefährder, das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht vom »islamistisch-terroristischen Personenpotenzial« und kommt auf 1200 Menschen. Gute Chancen, als Gefährder angesehen zu werden, haben Heimkehrer aus Kriegsgebieten sowie solche, die aktiv in verdächtigen Vereinen agieren.

Dass mit dem Begriff nicht viel anzufangen ist, weiß auch die Bundesregierung. Vor rund einem Jahr antwortete sie auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion: »Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.« Diese Krücke hatte Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP) verwendet. Der Liberale ist seit dreieinhalb Jahren tot, viele seiner Grundsätze zur Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit siechen dahin.

Doch auch der 100er-Paragraf hilft im Grunde nicht bei der Bestimmung von Gefährdern. Er besteht nur aus einer Liste, die festhält, was unter einer schweren Straftat zu verstehen ist und wann man eine Telekommunikationsüberwachung beantragen kann: Genannt werden unter anderem »Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit«.

Hilfreicher ist womöglich die Genfer Flüchtlingskonvention in ihrem Artikel 33. Der definiert, wann ein Flüchtling im Gastland keine Unterstützung mehr erwarten kann. Der Fall tritt ein, wenn »er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde«. Betont wird: rechtskräftig verurteilt.

Einige, die in Deutschland als Gefährder gelten, sind in der Tat verurteilt, haben die Haft verbüßt und sind doch unter Beobachtung, weil man nicht auf die erzieherische Wirkung des Urteils vertraut. Eine übliche Gefährderansprache wird als nicht hilfreich eingeschätzt. Andere Verdächtige gelangen auf die Liste, weil Behörden in unsicheren Zeiten lieber auf »Nummer sicher« gehen. Womit nur die Anzahl derjenigen steigt, die nicht unter Beobachtung - einschließlich Telekommunikationsüberwachung - genommen werden können, denn: Für eine 24-stündige Überwachung eines Gefährders benötigt man zwischen 25 und 30 Polizisten.

Und wie ist das mit dem präventiven Wegschließen? In Nordrhein-Westfalen bestimmt der Gesetzgeber dafür eine Maximaldauer von einem Tag, in Berlin sind es vier, in Bayern und Baden-Württemberg gelten zwei Wochen Freiheitsentzug als legal - egal ob Fußballhooligan oder islamistischer Gewalttäter. Doch ist ein Gefährder keineswegs ein Täter.

Komplizierter, als Gefährder zu werden ist es, diesen Vorwurf abzulegen. Dass ein Richter die Beobachtung von Anis Amri zu früh aufhob, wird Kollegen nicht dazu verführen, es ihm gleich zu tun. Also ab ins Hochsicherheitslager? Diese Antwort findet derzeit Beifall - gerade bei jenen, die etablierten Parteien einen Denkzettel ausstellen wollen. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun. Vorsicht. Vor acht Jahren versprach Barack Obama, das Gefährderlager Guantanamo zu schließen. Die zweite Amtszeit des US-Präsidenten endet, die Pein vieler ohne Urteil Inhaftierter noch immer nicht.

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