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»Versammlung« war das erste Wort

Michael Brie und Lutz Brangsch begaben sich auf die Suche nach dem Kommunistischen

  • Uwe Sonnenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 500 Jahren skizzierte Thomas Morus mit der »wunderbarlichen Insel Utopia« einen neuen Sehnsuchtsort. Seine damalige Gegenwartskritik enthält einen Zündfunken für das Zukünftige. In Kürze jährt sich die Russische Revolution zum 100. Male. Dann wird es 25 Jahre her sein, dass das Lied vom »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) angestimmt wurde. Da heute von einer stabilen europäischen Friedensordnung nicht mehr die Rede sein kann und marktförmig verfasste liberale Demokratien selbst vor ihrer bislang größten Bewährungsprobe stehen, ist dieser Chor verstummt. Rückwärtsgewandte und menschenfeindliche Alternativen präsentieren sich erschreckend bereit, das Ruder zu übernehmen.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass das Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung tiefer in die Geschichte schaut. Ergebnis dieser Beschäftigung ist die jüngste Publikation von Lutz Brangsch und Michael Brie. Sie versucht nicht - wie der Untertitel suggeriert - jenes berühmte Gespenst, den Kommunismus, einzufangen, sondern widmet sich ganz dem Geist des Kommunistischen. Entlang unterschiedlicher historischer Landmarken begeben sich die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes auf die Suche nach »Ansätzen, Projekten, Versuchen und Utopien wie Theorien, die sich als kommunistisch bezeichneten oder so dargestellt wurden«. Das Buch will »das Gemeinsame im Verschiedenen und das Verschiedene im Gemeinsamen« aufzeigen.

Das gelingt an vielen Stellen ausgezeichnet. Erhellend etwa, wenn Bini Adamczak die »Versammlung« als erstes Wort des Kommunistischen verhandelt und sie im geschichtsphilosophischen Dreischritt 1917 - 1968 - 2017 näher betrachtet. Friederike Habermanns und Massimo De Angelis’ Einführungen in die jahrhundertelangen Kämpfe um »Commons«, die beide als Verteidigung der Würde vorstellen und auf die Höhe der heutigen Auseinandersetzungen bringen, stehen dem in Nichts nach.

Das Buch versucht vor allem, einen breiten Überblick zu verschaffen, sich des Reichtums und der Widersprüche des Kommunistischen bewusst zu werden. Dennoch erscheint die Zusammenstellung der Beiträge mitunter willkürlich. So stehen sich die Kritik an bürgerlichen Freiheits- und Eigentumsvorstellungen, ökonomische Planungen in der frühen Sowjetunion und Formen der Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien, Aufbrüche mexikanischer Zapatistas in den 1990er Jahren und die Kritik an aktuellen Ansichten des französischen Tiqqun-Kollektivs einander zumeist beziehungslos gegenüber.

Nichtsdestotrotz besteht spätestens nach der »Tragödie des Parteikommunismus« (Michael Brie) die Notwendigkeit, sich den historischen Erfahrungen jenseits von Revolutionsfeierlichkeiten, außerhalb abgeschlossener Theoriegebäude und fern von fertig gegossenen Gesellschaftsmodellen zu stellen. Mit Arbeiten wie der vorliegenden muss daran erinnert werden, dass gesellschaftliche Veränderungen mithin sozialer Wandel insbesondere das Ergebnis alltäglicher Praxis waren. Dass damit auch das Kommunistische als radikaler Widerpart des Kapitalistischen aus dem Alltag heraus erwachse und gelebte Demokratie und Solidarität bedeute. Diesen Grundeinsichten - nicht nur aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts heraus - folgend, wünscht man sich in einer Fortsetzung des Bandes auch für die Zukunft weitere anregende Beiträge.

Lutz Brangsch/Michael Brie (Hg.): Das Kommunistische. Oder: Ein Gespenst kommt nicht zur Ruhe. Mit Beiträgen von Bini Adamczak, Friederike Habermann und Massimo de Angelis, VSA, Hamburg 2016. 272 S., br., 16,80 €.

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