Bis zur Decke Dynamit

Zum Tod des polnisch-britischen Denkers Zygmunt Bauman

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Welt ist schön. Die Welt ist weit. Die Welt ist farbig. Was aber ist, wenn wir die Augen öffnen? »Derzeit gleicht unser aller Zuhause einem Lagerraum, der bis zur Decke mit Dynamit gefüllt ist. Dynamit, das aus dem geballten Leid und Elend verarmter und enterbter Millionen besteht.« Schrieb Zygmunt Bauman und sah »genügend potenzielle Terroristen, die mit Streichhölzern bereitstehen«.

Der Philosoph und Soziologe hatte nichts dagegen, wenn Denkende um ihn herum die Demokratie »als neuen Gott« behandelten. »Dann zeigt das nur, dass uns Gott ein weiteres Mal gestorben ist.« Und dieser Gott stirbt wie jeder Gott daran, dass er den Beladenen nicht wirklich hilft. Eine Errungenschaft, die nicht helfen kann, ist keine. Der so zart und filigran, im Alter wie durchscheinend wirkende Bauman machte stets den Eindruck eines Mannes, der Menschen nicht leiden sehen kann. Das ist schon alles. Das ist das Größte. Wenn das Leid anderer aufdringlicher ist als das eigene, steht der Einzelne an der wahren Wegscheide seiner Existenz. Wird er dienstbar in den Abwiegelungsstuben oder bleibt er draußen, wo der Schmerz durch die Wahrnehmungen und Welturteile geht?

Zygmunt Baumann blieb draußen. Er sah das mögliche Miteinander der Menschen geschändet durch alles, was aus sozialen, geistigen, ethnischen Unterschieden herrschaftlich herausgewirtschaftet wurde. Demokratie, die gegen diese Bewirtschaftung, diese Ausbeutung der menschlichen Lage nichts bietet, stirbt. Bauman schrieb eine Verlustanzeige von über fünfzig Büchern. Er war ein Ethiker des Kosmopolitismus - wider die Walze globalisierter Gier, die den Menschen in die funktionale Ergebenheit einmauert, ihn entwurzelt. »Flüchtige Moderne« heißt eines seiner bekanntesten Bücher. Er sah im Furor des Konsumismus eine neue totalitäre Bewegung, die den ethischen Zugang zu Freiheit und Würde zubetoniert. Mit der Globalisierung, so Bauman, sei »alle Macht aus historisch gewachsenen Institutionen entwichen«, der Entmachtung des Nationalstaates sei nichts Konstruktives gefolgt. »Das Geschäft driftete in ein Niemandsland, frei von moralischen Bedenken und rechtlichen Auflagen«.

Bauman wurde 1925 in Poznan geboren. Die jüdische Familie entkam 1939 den Nazis, in der Sowjetunion wurde Baumann Komsomolze, Kommunist; als Geheimdienstoffizier (2007 gestand er’s) kehrte er ins Nachkriegspolen zurück, studierte und lehrte. Oft heißt es, Baumann sei »nach den Unruhen von 1968« nach Israel emigriert (wo er sich konsequent und offen für die Rechte der Palästinenser einsetzte). Nein, was ihn (erneut) zur Flucht trieb, war nicht die Unruhe, sondern die Abtötung einer Unruhe. Die Not hatte sich angedeutet, als er in Essays und Vorlesungen vom Heiligenbild Lenin das Verklärungsscheingold abkratzte. Stets hat er die linke Bewegung als einen »Heroismus des Protestes« bezeichnet, aber in gleichem Maße deren Tragik benannt: »Linke haben nach bisheriger Erfahrung keine Antennen für jene Mehrdeutigkeit der Welt, die sich einem angeblichen geschichtlichen Gesetz natürlich entzieht.«

Heroisierungen der Arbeiterklasse trug er nie mit. 1989 erschien »Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust«. Ein Buch über die zynische Industrieleistung der Nazis. Nicht Bruch der Zivilisation, sondern deren modernster Ausdruck. Wie es Heiner Müller schrieb: »Hitlers Blitzkriegsmaschine war eine Meisterleistung des deutschen Proletariats.« Eine Wahrheit, die in jene verteufelte Widersprüchlichkeit des Arbeiterbilds hineinführt, das nach 1945 beflissen verdrängt wurde. Aber am Ende auch das Heer derer beleuchtet, »die heute die Globalisierung durch die Welt jagen wie ein endloses Band von Panzern« (Bauman).

Es klingt in Zeiten, da Bauman sich leidenschaftlich für Migration und Solidarität einsetzte, wie ein Vermächtnis: »Dass wir uns von der Globalisierung menschlicher Technologie und Wirtschaft zurückziehen, steht kaum zu erwarten. Deshalb lautet die Frage nicht, wie man den Fluss der Geschichte zurücklenkt, sondern wie man seine durch menschliches Elend hervorgerufene Verschmutzung bekämpfen und seinen Lauf so kanalisieren kann, dass es endlich zu einer gerechteren Verteilung des Wassers kommt.«

Am Montag ist Zygmunt Bauman im britischen Leeds, wo er seit 1971 lehrte und wo ein Institut seinen Namen trägt, im Alter von 91 Jahren gestorben.

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