Kreuzberg liegt jetzt in Treptow

Nach der Übernahme des Clubs White Trash eröffnet heute der neue Festsaal

  • Mischa Milinović
  • Lesedauer: 4 Min.

»Bermudadreieck« wird die Grenze zwischen Kreuzberg, Neukölln und Treptow genannt. Im Sommer drängen hier die Partygänger über die Schlesische Straße, um in Clubs oder Bars an Landwehrkanal und Spree abzuhängen. An diesem Januartag ist der große Bretterverschlag am Eingang des Arena-Geländes in Alt-Treptow nicht zu übersehen. Dahinter steht ein roter Backstein-Flachbau mit tiefen Fenstern und dem Charme eines Autohauses.

Björn von Swieykowski öffnet die Tür. Er ist einer der vier Geschäftsführer des Festsaal Kreuzberg. Die Betreiber des zuvor am Kottbusser Tor beheimateten und 2013 ausgebrannten Clubs haben den hier betriebenen, insolventen Club White Trash Fast Food übernommen. Swieykowski sagt: »Hinter uns liegen aufreibende Wochen, ich bin einfach nur erleichtert, dass es jetzt los geht.« Am heutigen Samstag öffnet der Festsaal wieder seine Türen.

Swieykowski führt durch die neuen Räume. Überall wird noch gewerkelt. Hier soll es nun wieder auferstehen, das einstige »Juwel vom Kotti«, mit seiner ganz besonderen Mischung aus Konzerten, Boxgalas, Lesungen und politischen Veranstaltungen.

Swieykowski ist ein ruhiger, entspannter Typ. Wenn er über eine seiner Lieblingsbands spricht, ist er jedoch Feuer und Flamme: »Ich kann es kaum fassen, zur Eröffnung spielen Robocop Kraus.« Die fünfköpfige Post-Punk-Band aus Hersbruck bei Nürnberg sind alte Festsaal-Bekannte. In den Nullerjahren stand die Band bereits am Kotti auf der Bühne. Jetzt feiern sie nach mehr als sieben Jahren ihr Berliner Comeback. Es ist also ein doppeltes Fest, das am heutigen Samstag in Treptow begangen wird.

Noch fühlt man sich wie in einem Western-Saloon: viel Holz, eine Menge Tinnef, Kronleuchter an den Decken, rote Ledersitzgruppen. Doch das wird nicht so bleiben. Die Architekten des Studio Karhard, die auch den Ausbau des Berghains verantwortet haben, haben aus dem ehemaligen Autohaus und nachmaligen Westerndorf des White Trash einen neuen Club gestaltet.

Das White Trash, einst eine Berlin-Mitte-Institution mit langen Schlangen am Einlass, ist nun Geschichte. Ihrem Ende ging eine unschöne Debatte voraus. Swieykowski will am liebsten nicht darüber reden: »So lange das Verfahren und der Prozess der Übernahme läuft, äußern wir uns dazu nicht. Diese Auseinandersetzung hat uns alle sehr mitgenommen.«

Vorausgegangen war eine öffentliche Schlammschlacht zwischen White-Trash-Betreiber Walter Potts und der Festsaal-Crew um die Übernahme. Potts bevorzugte eine andere Bietergruppe - diese wollte ihn in das neue Konzept einbinden. Es ging um Schulden in Millionenhöhe, Verdrängungsvorwürfe, Kaufsummen und die Zukunft der Mitarbeiter.

Mitte Dezember kam dann die Entscheidung: Die Festsaal-Macher bekamen den Zuschlag, zusammen mit ihren Partnern von Lido, BiNuu, Astra und Kalkscheune, allesamt alternative Konzert- und Partyhallen. Potts Partner unterlagen: neben dem Radiosender FluxFM auch der große Konzertveranstalter Trinity Music. Die neuen Inhaber übernehmen nun auch die Mitarbeiter. Das ist vertraglich so vorgesehen.

»Wir haben innerhalb von zwei Tagen über 40 Personalgespräche geführt«, sagt Swieykowski. Von da an habe er ein gutes Gefühl gehabt. Zum Konzept will er nur so viel sagen: »Wir setzten jetzt auf den Neuanfang. Das vorige Konzept hat in unseren Augen einfach nicht funktioniert.« Potts hingegen war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Damit geht für die Festsaal-Crew eine zweieinhalbjährige Phase der Unsicherheit zu Ende, eine Achterbahnfahrt durch die Unwägbarkeiten einer sich rasch verändernden, immer wieder von Verdrängung betroffenen Clubszene. Lange Zeit gab es den Plan, den Festsaal an Ort und Stelle wieder aufzubauen: Es gab Crowdfundings und Solipartys. Künstler, Freunde und Besucher solidarisierten sich - vergebens. Der Eigentümer will nun ein Bürohaus auf der Fläche der abgebrannten Ruine bauen.

Auch der neue Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) setzte sich damals mit anderen Abgeordneten in einem Appell für den Festsaal ein. Lederers Sprecher Daniel Bartsch sagt dem »nd«: »Clubs sind Räume für Kultur - diese unterliegen in Berlin einem massiven Verwertungsdruck, Stichwort Gentrifizierung.« Die neue Koalition habe sich auf die Fahnen geschrieben, die Clubkultur zu stärken, »gerade weil sie ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Ausstrahlung der Hauptstadt ist«.

Dies trifft in besonderem Maße auf den Festsaal Kreuzberg zu. In den zehn Jahren seines Bestehens war »die Randgruppen-Mehrzweckhalle«, wie Swieykowski sie nennt, zu einem Leuchtturm im Nachtleben geworden. Kreuzberg und das Kottbusser Tor erlebten ein Revival. Einher ging ein Bekenntnis der Macher zu ihrem Kiez und den Menschen, die dort leben - eine Mischung aus Antifa, schwul-lesbischer Szene, Junkies und türkischstämmigen Gemüsehändlern. Jetzt also Treptow.

»As Long As We Dance We Are Not Dead« heißt ein Album von Robocop Kraus. So lange wir tanzen, sind wir nicht tot. In diesem Sinne: Der Festsaal ist tot, es lebe der Festsaal!

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