Grippewelle überfordert Krankenhäuser

Französischer Präsident beruft Krisensitzung ein / Zu wenig Franzosen lassen sich vorbeugend impfen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Grippewelle, die seit einem Monat in Frankreich grassiert, macht weiterhin Schlagzeilen. In einem Altersheim in Lyon sind beispielsweise 72 der 110 Insassen erkrankt, 14 Personen verstarben innerhalb von zwei Wochen. In den vergangenen vier Wochen mussten sich 830 000 Franzosen wegen einer Grippe, die nicht mehr mit Hausmitteln unter Kontrolle zu halten war, in ärztliche Behandlung begeben. Aufgrund der von den aktuellen Patientenzahlen ausgehenden Hochrechnungen befürchten die Ärzte, dass die Epidemie in diesem Winter den traurigen Rekord von 2014/15 in den Schatten stellt. Seinerzeit erkrankten 2,9 Millionen Menschen an Grippe erkrankt. 18 300, von denen 90 Prozent älter als 65 waren, starben daran.

Dabei sind die Bedingungen in diesem Jahr eigentlich günstiger. Während im vergangenen Winter die vorbeugend vorgenommenen Impfungen gegen den letztendlich aufgetretenen Grippevirus fast unwirksam blieben, stimmen in dieser Saison die Art der Impfung und der tatsächlich festgestellte Grippetyp A (H3N2) ziemlich genau überein. Doch die Grippe trifft in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Menschen über 65, von denen 20 Prozent mehr erkranken als man auf Basis Erfahrungen früherer Jahre angenommen hatte.

Zudem verschlechtert sich deren Zustand so schnell und stark, dass sie umgehend im Krankenhaus behandelt werden müssen. Dort wiederum sind die Notaufnahmestationen rettungslos überfordert. »Es kracht im Gebälk«, schildert Doktor Christophe Prudhomme von der CGT-Gewerkschaft Gesundheit die Lage. »Schwer kranke Patienten, bei denen die Ärzte eine stationäre Aufnahme für dringend nötig halten, verbringen nicht selten mehr als 24 Stunden auf einer Trage auf dem Korridor und müssen warten, bis ein Bett für sie frei wird.« Das sei inakzeptabel und menschenunwürdig, so Prudhomme.

Doktor François Braun, Vorsitzender des Verbandes der Notärzte, stellt fest: »Wir erleben eine regelrechte sanitäre Krise. Unser Krankenhaussystem wurde durch Sparzwänge schon so stark bis an den Rand seiner Möglichkeiten ausgedünnt, dass es mit solchen außergewöhnlichen Anforderungen wie der gegenwärtigen Grippewelle nicht fertig wird.«

Wegen der sich im ganzen Land dramatisch zuspitzenden Situation gab es bereits eine Krisensitzung im Elysée, dem Amtssitz des Präsidenten. Im Anschluss hat Gesundheitsministerin Marisol Touraine nicht nur auf dem Dienstweg, sondern auch über die Medien alle staatlichen und privaten Krankenhäuser aufgefordert, nicht ganz dringende Operationen und Behandlungen zu verschieben, um Betten und Personal für die Grippekranken freizumachen. Außerdem sollen Ärzte und Krankenschwestern aus dem Urlaub zurückgerufen werden. Die Grippewelle hat einmal mehr die Diskussion um vorbeugende Impfungen entfacht. In Frankreich ist die Skepsis gegen Impfungen allgemein höher als in vielen Nachbarländern. Beim Grippeschutz liegt das Land mit rund 50 Prozent Geimpften im europäischen Mittelfeld. In den Risikogruppen - Menschen über 65, Schwangere, Patienten mit chronischen Krankheiten - , für die die Impfung dringend angeraten wird, liegt die Impfquote bei etwa 70 Prozent.

Doch nur jeder zweite Arzt lässt sich impfen, bei Pflegern und Krankenschwestern sind es sogar nur 30-35 Prozent, was Experten für leichtsinnig halten und sogar gefährlich für die Patienten. Trotzdem hat Gesundheitsministerin Touraine die Forderung, Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern wie in den USA und anderen Ländern zur Impfung zu verpflichten und Weigerungen zu bestrafen, zurückgewiesen. Sie setzt auf den Erfolg der Überzeugungsarbeit und auf die Berufsethik der Betroffenen.

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