Vom Chaos zurück zum Monopoly

Energiepolitisch hat der abgetretene Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dem Land geschadet

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Tag, als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die alten Ämter aufgab, spuckte seine ministerielle Maschinerie noch den Entwurf des Netzentgeltmodernisierungsgesetzes aus. Die Vorlage ist, so möchte man sagen, Ergebnis eines typisch Gabrielschen Gesetzesverfahrens.

So in der Mitte der Legislatur hatte das Wirtschaftsministerium ein dickes »Weißbuch zum Strommarkt 2.0« vorgelegt. Unter Punkt 9 war da der Vorschlag zu finden, die - gerade Gerade in den neuen Ländern besonders hohen - Netzentgelte bundesweit zu vereinheitlichen. Dem ostdeutschen Netzbetreiber 50Hertz war dies so wichtig, dass er in seiner späteren Stellungnahme eine ordentliche Liste von Pro-Argumenten aufmarschieren ließ: Wo viel Solar- und Windstrom eingespeist wird, entstünden »höhere betriebliche Kosten«. Nötig seien auch hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur. Zugleich seien Regionen mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien, speziell ländliche, meist dünner besiedelt und hätten »weniger industrielle Verbraucher«. Damit müssten die Kosten auf weniger Kunden umgelegt werden, was ebenfalls zu höheren Netzentgelten für Verbraucher führt. Und diese verfügen im Osten, wie man weiß, meist über ein relativ niedriges Einkommen.

Völlig gerechtfertigt und überfällig ist also die Forderung nach bundeseinheitlichen Netzentgelten. Sie fand sich dann auch im Dezember vergangenen Jahres im ersten Gesetzentwurf aus dem Hause Gabriel wieder - aber nicht lange: In der jetzt vom Kabinett beschlossenen Vorlage waren die Einheits-Entgelte wieder herausoperiert. Interveniert hatten zuvor die Bundesländer im Westen und Süden, die sich unsolidarisch niedriger Netzentgelte erfreuen. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) zeigte sich ob der Streichung sehr zufrieden. Dies sei eine gute Nachricht für die Stromverbraucher in NRW, sagte er.

Das ist typisch Gabriel, diese Rücksichtnahme besonders auf das SPD-regierte Kernland Nordrhein-Westfalen mit seiner fossilen Kraftwerkslandschaft und energieintensiven Industrie. Dort muss in diesem Jahr, koste es, was es wolle, die Landtagswahl gewonnen werden. Für Gabriel eine der Leitlinien als Wirtschaftsminister, wenn man seine Politik seit Ende 2013 Revue passieren lässt. Im »Klimaschutzplan 2050« verhinderte er, dass ein konkreter Termin für den Kohleausstieg genannt wird - das böse »Ausstiegs«-Wort taucht kein einziges Mal im Text auf. Die Milliarden-Industrierabatte bei der EEG-Umlage und andere Vergünstigungen für energieintensive Unternehmen boxte er gegen alle Widerstände durch.

Bei den Erneuerbaren wird die Photovoltaik dank Gabriel de facto abgewürgt und die Direktvermarktung von Grünstrom verhindert. Im Gegenzug öffnete der Minister aber den lukrativen Kapazitätsmarkt für Großunternehmen. Inzwischen rechnen die ohnehin mit Billigst-Strom bedachten Aluminiumhütten nach, was sich verdienen lässt, wenn sie den Verbrauch in Spitzenzeiten drosseln und den Strom auf dem Spotmarkt verkaufen. Zudem bevorteilt die EEG-Reform, für die sich Gabriel ein ums andere Mal lobt, mit der Einführung von Ausschreibungen große Player wie RWE (jetzt Innogy), E.on oder gleich internationale Finanzinvestoren.

Die Windbranche klagt jetzt schon, dass sich diese Großen in laufende Projekte einkaufen und dort mittelständische Projektierer in die Enge treiben. Wo man dem Gesetzesverfasser Gabriel auch über die energiepolitische Schulter blickt: Leitlinie war vor allem die Angst vor einer angeblich drohenden Deindustrialisierung, wenn die grünen Blütenträume zu sehr reifen würden. Hinter vorgehaltener Hand raunen vom Ministerium beauftragte Studienautoren auch, sie hätten den starken Eindruck gehabt, dass ihr Auftraggeber vor allem Interesse an einem »wissenschaftlichen« Nachweis gehabt habe, dass die Energiewende eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland sei. So richtig »liefern« konnte das aber niemand. Und so schreckte Gabriel nicht vor Populismus zurück: Mehrfach kolportierte er, die Abregelung überschüssigen Ökostroms würde den Stromverbraucher bis zu vier Milliarden Euro kosten - die Zahl wurde nie verifiziert. Oder der Minister schürte Neid mit der Bemerkung, dass Grundstückbesitzer 30 000 oder 40 000 Euro verdienten, wenn sie eine Windkraftanlage auf ihrem Grund und Boden gestatteten. Dass er mithalf, den AKW-Betreibern mit der Einigung über die atomaren Altlasten Milliarden zu Lasten des Steuerzahlers zu sparen - geschenkt.

Alles in allem schuf Gabriel die Voraussetzungen dafür, dass die Energiewende künftig wieder von den großen Playern dominiert wird. Zurück zum Monopoly. Er selbst bilanzierte in dieser Woche, in der Energiepolitik sei es das vorrangige Ziel gewesen, die »chaotische Lage« zu Beginn seiner Amtszeit zu ordnen und die erneuerbaren Energien fit für den Markt zu machen. »Chaos« haben nach Gabriels Lesart vor allem die Millionen Eigenerzeuger in den Strommarkt gebracht hat, die unkontrollierbaren Stromrebellen in Eigenheimen, Genossenschaften und Bürgerprojekten. Alle diese hat er - mehr recht als schlecht - an den Rand gedrängt. Selbst in der Grünstrom-Branche gilt jetzt wieder das Prinzip: Wachse oder weiche.

Als sozialdemokratischer Wirtschaftsminister hat Gabriel bei Energiewende und Klimaschutz einen noch nicht abzusehenden Schaden angerichtet. Den Wortführen aus der Union, denen seit Jahren die ganze Richtung nicht passt, öffnete er Tür und Tor. Diese treiben inzwischen das Wirtschaftsministerium vor sich her, zuletzt mit der angestrebten Abschaffung des EEG nach 2020.

Welches Chaos dann industrie- und beschäftigungspolitisch ausbricht, möchte man sich nicht ausmalen. An die Ära des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel wird sich dann aber kaum noch jemand erinnern.

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