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»Wir haben gekämpft – und keiner hat hingesehen«
Afghanische Frauen und queere Menschen kämpfen auch in Deutschland gegen Taliban-Herrschaft – während Deutschland abschiebt
»In diesen vier Jahren hat niemand außer den afghanischen Frauen gegen die Taliban gekämpft«, ruft Forouzan Khalilyar mit zornbebender Stimme. Die ehemalige Journalistin steht am Rand einer Veranstaltung im Hamburger Rathaus. Die Linkspartei des Bundeslandes hat anlässlich des vierten Jahrestags der Machtübernahme durch die Taliban dazu eingeladen.
15. August 2021 – dieser Tag hat sich tief in das kollektive Gedächtnis afghanischer Frauen eingebrannt. Wie so viele Frauen in Afghanistan führte Forouzan vorher ein normales Leben: Sie studierte, arbeitete als Journalistin, traf Freundinnen, reiste, konnte Schönheitssalons besuchen. Dann stellte die Taliban-Machtübernahme alles auf den Kopf. Afghanistans damaliger Präsident Ashraf Ghani floh überstürzt, die letzten amerikanischen Truppen zogen ab – und für Millionen von Frauen begann ein Leben in Gefangenschaft.
»Als die Taliban kamen, wurde ich gezwungen, meine journalistische Arbeit aufzugeben. Ich war gefangen – in meinem eigenen Zuhause«, erzählt Forouzan »nd«. Dann wiederholt sie den Satz, der offenbar bei ein, zwei anwesenden Männern in der Veranstaltung einen wunden Punkt traf: »In diesen vier Jahren hat niemand außer den afghanischen Frauen gegen die Taliban gekämpft. Es waren immer wir – wir afghanischen Frauen –, die unsere Stimme erhoben und dafür sorgten, dass sie in der Welt Gehör fand«. Während sie das sagt, wird ihre Stimme scharf und unmissverständlich.
Systematische Auslöschung: Bildung, Körper, Zukunft
Als die Taliban kamen, war Forouzan noch in Afghanistan. Eineinhalb Jahre lang saß sie dort fest – ohne Möglichkeit, das Land zu verlassen. Schließlich gelang ihr die Flucht in den Iran, von dort aus weiter nach Deutschland. »Im ersten Jahr hatte ich noch die Hoffnung, dass die Taliban uns Frauen vielleicht zumindest erlauben würden, weiterzuarbeiten«, sagt sie. Denn bei ihrer Machtübernahme behaupteten die Taliban zunächst, ihre Politik unterscheide sich deutlich von derjenigen, die sie vor zwanzig Jahren verfolgten. Sie würden Frauen arbeiten lassen. »Doch bald wurde klar: Es war dieselbe Politik wie vor zwanzig Jahren. Die Taliban waren dieselben Taliban«, blickt Forouzan zurück.
»Alle, die mit ihnen Geschäfte machten, halfen ihnen, in Afghanistan an die Macht zu kommen, tatsächlich machten sie Geschäfte mit dem Schicksal der afghanischen Frauen – und mit dem Schicksal eines ganzen Volkes.« Eines ist für Forouzan Khalilyar unbestreitbar: Sie wird nicht aufhören, für die Rechte der afghanischen Frauen zu kämpfen.
Vier Jahre nach dem Fall Kabuls zeigen Berichte der UN Women, dass afghanische Frauen deutlich hinter den globalen Standards für menschliche Entwicklung zurückbleiben. Fast acht von zehn jungen Afghaninnen haben keinen Zugang zu Bildung, Arbeit oder Ausbildung. Mittlerweile sind es 160 Gesetze, die in Kraft getreten sind, die das Leben von Frauen einschränken.
Zwar haben auch wenige andere Länder in der Vergangenheit die Bildung von Mädchen eingeschränkt – doch kein Regime hat dies so systematisch, umfassend und langfristig getan wie die Taliban. »Als Frau ist Teilhabe nicht gestattet: Es gibt kein Recht auf Bildung, auf Reisen, auf Singen oder sogar darauf, einen Friseursalon zu besuchen. Es gibt keinen einzigen Bereich, in dem Frauen teilhaben dürfen«, erklärt Farangis Sawgand, ehemalige Abgeordnete im afghanischen Parlament. Mädchen dürfen auch nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen, viele sind von Zwangsverheiratung bedroht – oft mit deutlich älteren Männern. »In Afghanistan herrscht Gender-Apartheid – aber bis heute wurde das international nicht offiziell als solche anerkannt«, sagt Farangis.
»Hamburg hat die größte afghanische Community Europas – die Politik muss ihre Stimmen hören.«
Hila Latifi Linke-Abgeordnete aus Hamburg
Viele Frauen, die in den vergangenen vier Jahren gegen die Gesetze der Taliban protestierten oder sich ihnen widersetzten, wurden inhaftiert. »In den Gefängnissen werden Frauen gefoltert, vergewaltigt, ihnen wird medizinische Versorgung verweigert. Selbst wenn sie überleben, beginnt für viele der eigentliche Horror erst danach«, berichtet Farangis. »Sie dürfen nicht arbeiten, keine Wohnung mieten – und oft lehnen sogar die eigenen Familien sie ab. Viele von ihnen haben deshalb Suizid begangen.«
»Wenn sie abgeschoben werden, sterben sie«
Auch Aylar Rezaee warnt vor der massiven Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Sie selbst konnte kurz nach der Machtübernahme fliehen, doch viele ihrer queeren Freund*innen sind bis heute in Afghanistan gefangen oder warten in Nachbarländern wie Pakistan auf Ausreise. »Seit Juli 2024 hat Deutschland das Bundesaufnahmeprogramm gestoppt. Den Menschen, die nun in Pakistan festsitzen, droht die Abschiebung nach Afghanistan. Und wenn das passiert, werden sie entweder von den Taliban oder von ihren eigenen Familienmitgliedern getötet.«
Aylar gehört selbst zur afghanischen LGBTIQ-Community und engagiert sich von Deutschland aus für die Rechte von Frauen und queeren Menschen in Afghanistan. »Die afghanischen Frauen in der Diaspora sind derzeit zur Stimme der Frauen in Afghanistan geworden. Wir versuchen, ihre Probleme hier sichtbar zu machen und in den öffentlichen Diskurs zu bringen«, sagt sie. Seit 2021 seien mehrere bedeutende Kampagnen von afghanischen Frauen in der Diaspora initiiert worden – darunter die Gender-Apartheid-Kampagne, die einige Erfolge erzielen konnte.
Dennoch schieben viele Länder afghanische Geflüchtete massenhaft ab – das geschieht in den Nachbarländern Iran und Pakistan, inzwischen aber auch aus den USA und Deutschland. Die Bundesregierung plant sogar direkte Verhandlungen mit den Taliban für weitere, regelmäßige Abschiebungen.
»Die Respektlosigkeit gegenüber afghanischen Leben und die Verweigerung von Schutz können wir nicht länger hinnehmen. Hamburg hat die größte afghanische Community Europas – die Politik muss ihre Stimmen hören«, fordert die Hamburger Linke-Abgeordnete Hila Latifi, die selbst einen afghanischen Hintergrund hat. »Die Politik weiß eigentlich viel über Afghanistan. Sie wissen ganz genau, wie die Lage von Frauen ist, wie die Lage von Kindern ist«, kritisiert sie Abschiebungen nach Afghanistan scharf. Vier Jahre nach dem Fall Kabuls kämpfen afghanische Frauen einen einsamen Kampf – während Deutschland wegschaut und abschiebt.
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