Ein Kumpel zum Lernen

Die »Schülerpaten« vermitteln ehrenamtliche Nachhilfelehrer an arabischstämmige Schüler

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wohin möchtest Du am liebsten einmal reisen?«, fragt Steven Swiecki und deutet auf den Globus. Khalil schaut auf die erleuchtete Erdkugel, die da vor ihm auf dem Schreibtisch steht. »Nach San Diego in den Vereinigten Staaten«, sagt der 13-jährige Schüler kurz entschlossen. Steven stutzt: »Wieso denn ausgerechnet nach San Diego?« »Na wegen des Rappers SUN DIEGO, den ich so gerne höre«, antwortet Khalil.

Ach ja! Jetzt hat es bei dem 29-Jährigen Klick gemacht. Khalil hatte ihm bereits vergangene Woche von seinem Musikidol vorgeschwärmt. Während der harte Bass des Deutschrappers durchs Kinderzimmer dröhnt, drehen die beiden den Globus nach Kalifornien. Dort an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze liegt die 1,3 Millionen Einwohner zählende Küstenmetropole San Diego. Wieder was gelernt.

Bei dem Nachhilfe-Tandem Steven und Khalil steht an diesem Nachmittag Geografie auf dem Lehrplan. Es geht etwas lockerer als üblich zu. Immerhin sind in dieser Woche Winterferien. »Ich betrachte Steven nicht als meinen Lehrer, sondern als einen Kumpel, mit dem ich zusammen etwas für die Schule mache«, sagt Khalil mit einem breiten Lächeln. Der 13-Jährige stammt aus einer libanesisch-polnischen Familie. Er wohnt im Wedding, ist ein passionierter Skateboardfahrer und wiederholt in diesem Halbjahr die 7. Klasse an einer Oberschule.

Seinen Nachhilfelehrer Steven Swiecki hat er im vergangenen Herbst über das Projekt »Schülerpaten« vermittelt bekommen. Der 2009 von engagierten Studenten gegründete Verein »Schülerpaten Berlin e.V.« vermittelt 1:1-Patenschaften zwischen Schülern mit arabischer Zuwanderungsgeschichte und deutschsprachigen Ehrenamtlichen.

»Unsere Paten geben Nachhilfe von der ersten Klasse bis zum Abitur für Kinder und Jugendliche aus Familien, die es sich finanziell sonst nicht leisten könnten. Wir wollen damit zur Chancengerechtigkeit in der Bildung beitragen«, erklärt Charlotte Schippmann, Pressesprecherin der »Schülerpaten«, die Idee hinter dem Projekt. Man habe sich auf Familien mit arabischem Hintergrund fokussiert, um durch den gegenseitigen Austausch Vorurteile abzubauen. »Wir bringen Menschen zusammen, die sich ansonsten wahrscheinlich nie begegnen würden«, sagt Schippmann. Schülerpate kann jeder ab 16 Jahren werden, der Lust auf Nachhilfeunterricht in den Fächern und Klassenstufen seiner Wahl hat und sich dazu verpflichtet, einmal pro Woche für mindestens ein Jahr ehrenamtlich tätig zu sein. Ein klasse Deal, findet Steven Swiecki. »Es ist ein guter und wichtiger Ansatz, auf dem Weg des ehrenamtlichen Engagements Nachhilfe zu geben. Gleiche Bildungschancen sind der Grundstein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt«, sagt der 29-jährige gebürtige Rheinländer, der in Berlin Sport und Englisch auf Lehramt studiert. Auch den sozial-integrativen Charakter des Projekts findet er super.

Neben Englisch gibt Swiecki seinem Schützling auch Hilfestellung in allen anderen Fächern, in denen Khalil Schwierigkeiten hat und Swiecki sich inhaltlich fit fühlt. So hat es Khalil in Deutsch von einer fünf auf eine zwei geschafft. »Wir waren auch schon zusammen im Bundestag und diese Woche wollen wir ins Kino. Wir sind Kumpels über den Nachhilfeunterricht hinaus«, sagt Swiecki. Khalil nickt mit dem Kopf und stimmt seinem Paten zu.

Rund 30 Neuanmeldungen von potenziellen Ehrenamtlichen verbuchen die »Schülerpaten« in einem Monat. Das Minimalziel ist stets 100 neue Paten pro Jahr zu gewinnen. Die meisten sind Studenten, aber auch immer mehr Rentner wollen sich engagieren. Die Neuen werden in der Regel über Freunde und Mund-zu-Mund-Propaganda geworben. Die Nachfrage der Familien sei aber so groß, dass man bei Weitem nicht allen Schülern einen Paten zur Seite stellen könne, erklärt Sprecherin Schippmann. »Unser Projekt begeistert als Selbstläufer«, sagt die 27-Jährige, die selber einer Schülerin Mathenachhilfe gibt. Im vergangenen Jahr hat der Verein expandiert und Ableger in anderen großen deutschen Städten wie Hamburg und Frankfurt gegründet. Khalil und Swiecki können jedem Interessierten nur raten, sich einmal in das Abenteuer Patentandem zu stürzen.

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