»Sportstadt Riesa« war einmal

Nach herber Talfahrt in den 1990ern hat sich die Elbestadt stabilisiert - aber wie weiter?

  • Martin Kloth, Riesa
  • Lesedauer: 4 Min.

Das glamouröseste Ereignis der jüngeren Stadtgeschichte hat Marco Müller verpasst. Als Box-Legende Muhammad Ali vor beinahe 15 Jahren mit seiner Zwei-Tages-Visite den Blick großer Medien in die sächsische Provinz lenkte, war Riesa auf dem vorläufigen Höhepunkt als Sportstadt - und der heutige Oberbürgermeister noch zur Ausbildung in Chemnitz. Unter seiner Führung nun entledigt sich Riesa seines bisherigen Labels, wenngleich aus Geldmangel auch ein bisschen notgedrungen, wie der CDU-Politiker gesteht.

Kommt man von Leipzig oder Chemnitz aus nach Riesa, gibt es nur einen Weg: Man schlängelt sich über die Bundesstraße B 169 und hat das Gefühl, ins sächsische Niemandsland zu kommen. »Riesa liegt nicht in der Pampa. Wir liegen im Herzen von Sachsen«, sagt Müller trotzig.

Was für Autofahrer eine vorübergehende Nervenprobe ist, ist für Riesa ein ständiges Ärgernis. Mit Nachdruck fordert das Stadtoberhaupt wie schon seine Vorgänger den Ausbau der Bundestraße. »Die B 169 hat nach wie vor eine ganz immense Bedeutung für den Standort Riesa, dass die Stadt nicht abgehängt wird.« Von der einst geplanten Autobahn A 16 von Leipzig nach Cottbus mit einem Anschluss Riesa ist schon lange keine Rede mehr.

Einst Stahlstadt, dann Sportstadt - und was kommt nun? Riesa ist auf der Suche nach einem neuen Image. Seit gut zwei Jahren ist Müller das Stadtoberhaupt. Der 41-jährige Jurist forciert einen erneuten Wandel. Denn in Zeiten knapper Kassen kann sich Riesa Sport von Weltrang nicht mehr leisten. Vorbei ist die Zeit, als sich Box-Promoter mit WM- und EM-Plänen die Klinke in die Hand gaben. Weder Handball noch Volleyball gastieren in der Stadt, von großem Fußball ganz schweigen. Eine Kurzbahn-EM der Schwimmer wie 1996 ist nicht denkbar. Weltklasse-Bob oder Weltklasse-Schwimmen sind passé. Dass Riesa unter seinem damaligen OB Wolfram Köhler in der Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 eine Rolle spielte, ist nur noch ein kleiner Aspekt der Stadtgeschichte. Die Fördermittel seien nicht mehr in der Höhe da wie einst, sagt Müller. Noch immer sei Riesa für ihn eine Sportstadt - nur hießen die Schwerpunkte nun Breiten- und Nachwuchssport. Und natürlich Nischensport. Der rekrutiert sich aus der nicht-olympischen Riege: Indoor Tractor-Pulling, Super Enduro Indoor WM, Cheerleading und nicht zuletzt schon traditionell die Stepptanz-WM. Neu im Portfolio ist in diesem Jahr Darts mit den International Open. Man müsse Veranstaltungen nach Riesa holen, die sich rechnen, sagt der OB. »Wir kämpfen darum, dass Riesa auch überregional nicht nur durch die Industrie, die wir hier haben, sondern auch durch kulturelle Highlights weiter Strahlkraft erlangt.«

Verantwortlich dafür, diese Vorgaben umzusetzen, ist die stadteigene Förder- und Verwaltungsgesellschaft Riesa mbH (FVG). Die muss mit fast halbierten Zuschüssen auskommen. Statt zwei Millionen Euro stehen nur noch 1,1 Millionen Euro zu Verfügung, von denen nur rund 200 000 für die Sachsenarena aufgewendet werden. Dennoch verzeichnete die riesige Halle mit 180 145 Besuchern einen Rekord. Neben dem Nischensport waren Konzerte und Shows die Zugpferde.

310 000 Menschen kamen insgesamt zu Veranstaltungen in der Arena, der Stadthalle Stern, dem Tierpark oder der Bibliothek und dem Stadtmuseum. »Wir haben einen Sprung nach vorn gemacht«, sagt Geschäftsführerin Kathleen Kießling. Nach Stadtangaben aber sind die Übernachtungszahlen rückläufig: Mehr als 43 000 waren es 2015, im vorigen Jahr fast 5000 weniger gewesen. Tagestouristen wie Radwanderer entlang der Elbe oder Reisegruppen zum Teigwaren-Nudelcenter seien nicht darin enthalten.

Riesa hat sich in vielerlei Hinsicht stabilisiert. Die Einwohnerzahl - sie lag 1990 bei rund 50 000 - ist seit 2014 konstant bei etwa 31 500. Die Geburtenrate ist zuletzt angestiegen: 2016 kamen in der Stadt 231 Kinder zur Welt. 2015 und 2016 sind einschließlich von 550 Asylbewerbern mehr Menschen nach Riesa gezogen als weggezogen. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es mit Stichtag 31. Dezember 1707 Arbeitslose in der Stadt, was einer Quote von 10,9 Prozent entspricht. Niedriger war sie 25 Jahre lang nicht. »Das hat sich sehr gut entwickelt«, sagt Müller. Stahl-, Reifen-, Elektronik- und Nahrungsmittelproduktion sowie das Elb-landklinikum und nicht zuletzt der ausgebaute Elbhafen sind die wirtschaftlichen Schwergewichte der Stadt. Müller preist die Trimodalität der Infrastruktur aus Wasserstraße, Bahn und Straße an. Aber erst mit dem Ausbau der B 169 bis zur A 14 würden sich die Voraussetzungen weiter verbessern. Laut Bundesverkehrswegeplan 2030 ist die Trasse vom vordringlichem Bedarf.

»Nichtsdestotrotz sind wir aus meiner Sicht nicht nur im Landkreis, sondern in ganz Sachsen einer der wesentlichen Wirtschaftsstandorte mit ganz starker Industrie«, sagt Müller. Allerdings: Das frühere Mischfutterwerk verfällt seit der Insolvenz der Mutterfirma Muskator (Düsseldorf). In der Fußgängerzone hoffen die Einzelhändler auf Belebung.

An der Autobahn ist der Wandel schon sichtbar. Die touristische Werbetafel an der A 14 weist nicht mehr auf die »Sportstadt Riesa« hin, sondern auf »Riesa an der Elbe«. Der Wechsel aber ist unfreiwillig. Laut Müller war das alte Schild durch einen Unfall beschädigt worden, musste ausgetauscht werden. Da aber in Sachsen nicht mehr an zwei Autobahnen die gleiche Tafel prangen darf, was früher noch möglich war, musste eine neue her. An der A 13 wird weiter für die Sportstadt geworben. dpa/nd

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