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40 türkische Offiziere gegen den Befehl

Der Asylantrag von Militärs erfordert Rückgrat von Merkel beim Besuch in Ankara

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht der erste Türkei-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel, aber der erste seit dem Putschversuch vom 16. Juli. Wiewohl die dilettantische Revolte nur Stunden dauerte und aus keinem einzigen der NATO-Partnerländer irgendwelche Unterstützung erfuhr, gab es ein heftiges Räsonieren in Ankara. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erwähnte zwar wenige Tage danach die Reaktionen der Verbündeten, aber vor allem deshalb, weil sie ihm nicht laut und solidarisch genug waren.

Des weiteren hatte Erdogan offen sein Missfallen darüber kundgetan, dass sich in den ersten Wochen nach dem Putsch kein ausländischer Staats- oder Regierungschef in Ankara sehen ließ. Er hätte sich wohl gern von Oberhäuptern bescheinigen lassen, wie notwendig und rechtmäßig sein Rachefeldzug gegen vermeintliche Putschunterstützer war und ist. Und der dafür verhängte und inzwischen schon einmal verlängerte Ausnahmezustand. Aber vor allem deshalb blieben sie wohl weg.

Eine nicht von Konflikten freie deutsch-türkische Begegnung auf höchster Ebene hat es in den letzten zwölf Jahren nie gegeben - so lange regieren beide gleichzeitig in dem einen oder anderen Staatsamt -, dennoch schien der jetzige Termin nicht überaus problematisch. Bis vor wenigen Tagen. Da wurde das Asylgesuch mehrerer dutzend Angehöriger der türkischen Armee in Deutschland öffentlich, und schon gerät der Arbeitsbesuch zum Krisengipfel.

NATO-Oberbefehlshaber General Curtis Scaparrotti (USA) hatte im Dezember gesagt, insgesamt hätten seit dem Putsch rund 150 türkische Soldaten die NATO-Kommandostrukturen verlassen. Einige seien nach ihrer Rückberufung in die Türkei verhaftet worden, so wie übrigens das gesamte einheimische Führungspersonal auf dem von der NATO genutzten türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik, auf dem auch eine Bundeswehreinheit stationiert ist. Insgesamt sei die Zahl türkischer Offiziere in den NATO-Kommandostrukturen dadurch laut Scaparrotti um etwa die Hälfte gesunken.

AFP spricht davon, dass 40 dieser türkischen Militärangehörigen, überwiegend Offiziere, nun in Deutschland um Asyl bitten. Es heißt, sie alle seien zurückbeordert worden; nicht turnusmäßig, sondern um sich Untersuchungen über eine mögliche Verwicklung in die Ereignisse vom 16. Juli zu stellen. Dazu verspüren sie offenbar wenig Neigung, denn ob verwickelt oder nicht - das schien bei den bisherigen Zehntausenden Entlassenen oder in noch schärferer Form Bestraften in der Türkei nicht die entscheidende Rolle gespielt zu haben.

Es ist ein offenes Geheimnis: Die in Westeuropa in Brüssel und anderswo tätigen türkischen Militärs gelten Erdogan als zu weltlich, zu westlich und zu kritisch gegenüber seinen Alleinherrschaftsambitionen. Mit diesem dreifachen Manko an Ergebenheit steht man als Staatsbediensteter in der Türkei heute auf der Abschussliste. Wenn man dann noch von irgendjemandem der Sympathie für die Bewegung des im US-Exil lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen bezichtigt wird, ist mindestens die Karriere im Eimer.

Vorverurteilungen hat es bisher reichlich gegeben, und an der Rechtsstaatlichkeit der bisher angelaufenen Verfahren gegen Militärangehörige muss man nicht nur leise Zweifel anmelden. Es ist das von Demagogie, Terror und Verleumdung vergiftete gesellschaftliche Klima, das eher Willkür als faire Prozesse erwarten lässt. Jüngster Beleg dafür: Etwa 30 türkische Rechtsanwälte haben es abgelehnt, bei den bevorstehenden Prozessen Offiziere zu verteidigen. Als Begründung geben sie an, sie fürchteten, anschließend von der Öffentlichkeit als mitschuldig betrachtet zu werden. Die NATO-Gremien tun übrigens so, als ginge sie das ganze nichts an. Die Asylgesuche türkischer Offiziere in Deutschland seien eine rein nationale Angelegenheit, sagte eine nichtgenannte NATO-Vertreterin am Montag auf AFP-Anfrage.

Die türkische Regierung hat offenbar nicht die Absicht, die Angelegenheit mit den nach Deutschland Abtrünnigen auf diplomatische oder gar gütliche Weise zu regeln. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik hat Deutschland zur Ablehnung aller Asylanträge von türkischen Soldaten ermahnt. Die deutschen Behörden »dürfen diese Asylanträge absolut nicht annehmen«, sagte Isik am Sonntag der Agentur Anadolu. Es sei seine »Erwartung«, dass Deutschland die Anträge zurückweise.

Besucht die Kanzlerin China oder Russland wird schon im Vorhinein stets betont, dass man selbstverständlich auch mit der Opposition reden werde. Davon war in Ankara bisher nicht die Rede.

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