Wiedergeburt der Bomben-Idee

Adenauer als Visionär? Nach Trumps Amtsantritt ist die Forderung nach deutschen Atomwaffen nicht mehr tabu

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer sich auf die Amerikaner verlässt, ist womöglich verlassen. Das wusste schon Konrad Adenauer (CDU), der erste Kanzler der Bundesrepublik. Mitte der 50er Jahre sprach er in vertrautem Kreis darüber, wie unerträglich es sei, dass »zwei große Staaten in der Welt allein im Besitz von nuklearen Waffen sind und damit das Schicksal aller Völker dieser Erde in der Hand haben«. In einer Kabinettssitzung Ende 1956 hielt er es für ratsam, selbst »nukleare Waffen in der Bundesrepublik herzustellen«. Nur so habe man internationales Gewicht.

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) spannte sich ein. Dumm nur, dass die Bundesrepublik sich in den Pariser Verträgen verpflichtet hatte, keine Atomwaffen zu produzieren. Also versuchte man es illegal. Frankreich schien damals geneigt, mit den Deutschen gemeinsam an der Bombe aller Bomben zu basteln. Um das zu legalisieren, sollte der Sprengkopf in Frankreich und das Trägermittel in Deutschland gebaut werden. Am 25. März 1958 beschloss der Bundestag die atomare Bewaffnung der Bundeswehr.

Doch dann übernahm General Charles de Gaulles das französische Präsidentenamt. Der Weltkriegsveteran war zwar zur Aussöhnung mit den einstigen Feinden bereit, nicht jedoch, ihnen die Atombombe zu überlassen. Auch die Briten lehnten es ab, den »Krauts«, die noch vor ein paar Jahren Raketen auf London geschossen hatten, Nuklearwaffen zu geben.

Für Adenauer blieb also nur der dritte Weg, um atomar bedeutsam zu werden. Die USA stationierten in der Bundesrepublik atomare Sprengköpfe verschiedenster Art, waren aber nicht bereit, die Kosten dafür allein zu übernehmen. Also boten sie der Bundesrepublik die atomare Teilhabe an. Die Deutschen stellten, wie andere NATO-Mitglieder auch, Trägersysteme. Daran hat sich nichts geändert.

Offiziell gab es nie Zweifel, dass die USA - auch das vereinigte - Deutschland unter ihren nuklearen Schirm nehmen. Abschreckung nennt man dieses System aus Mord und Selbstmord. Seit dem 20. Januar 2017 scheint es aber nicht mehr so sicher zu sein, dass der neue US-Präsident sein Land in einen Suizid treiben würde, wenn es dem Schutz von Verbündeten dient. Donald Trump hat den Atomkoffer. Er kann den Code zur Weltvernichtung eingeben - oder auch nicht. Würde er diese letzte aller Möglichkeiten zur Verteidigung Westeuropas einsetzen? Immerhin: Trump hält Putin für akzeptabel und die NATO für obsolet. Trump kümmert sich ausschließlich darum, was - aus seinem Blickwinkel - die USA stark macht und droht den Verbündeten mit einem Handelskrieg.

Dass der US-Präsident den wichtigen japanischen Bündnispartnern erklärt hat, schafft euch eigene Atombomben an, wenn ihr Sicherheit wollt, war Wasser auf die Mühlen von atombombensüchtigen Deutschen.

Die gibt es tatsächlich. Noch. Und noch als Minderheit. Doch sie bringen die Idee eines nuklear bewaffneten Deutschlands wieder in die Debatte ein. Bereits im November, also lange vor Trumps Amtsübernahme, hatte der Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Berthold Kohler, in seinem Blatt höhere Ausgaben für die Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien angeregt und die Frage nach einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit gestellt.

Der Gedanke scheint sich auch in Medien einzuschleichen, die bislang eher antimilitaristische Positionen vertraten. In der vergangenen Woche brachte das vom NDR besorgte Magazin »Panorama« einen Beitrag, in dem gewarnt wurde: »Kein Staat kann zurzeit sicher sein, ob Trump bedingungslos andere NATO-Verbündete verteidigen würde.« Was also tun, wenn Trump den nuklearen Schutz aufkündigt und Atomwaffen abzieht? Die Fachleute, die man für diesen TV-Beitrag aussuchte und interviewte, kann man nicht zu jenen rechnen, die nukleare Waffen verteufeln.

Der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Roderich Kiesewetter, wollte sich nicht so definitiv äußern. Warum auch, das hatte er ja schon in einem Reuters-Interview getan. Europa brauche weiter einen Nuklearschutz, um abschrecken zu können, sagte Kiesewetter da, sprach sich gegen Denkverbote aus und sinnierte darüber, dass das westliche Europa einen eigenen Nuklearschirm aufbauen und dabei die Atomwaffen Großbritanniens und Frankreichs einbeziehen sollte. »In den Hinterzimmern in Berlin wird das schon diskutiert«, hieß es bei »Panorama«.

Noch scheut man die allzu offene Debatte über eine deutsche Atombombe, denn das sei »ein sensibles Thema - unpopulär und heikel«. Doch angesichts des neuen Mannes im Weißen Haus könne es »leider schneller als gedacht aktuell werden«. Wer eine eindeutige Gegenposition der »Panorama«-Autoren erwartet hatte, wurde enttäuscht. Auch sie deuten an, dass ein atomwaffenfreies Deutschland »vielleicht keine Lösung« ist und sorgen sich, dass das Land so »erpressbar« werde.

Es ist erstaunlich, wie rasch angeblich unverrückbare Positionen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik infrage gestellt werden. 2005 hatte der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen »eine vernünftige Initiative« genannt, mit der sich die Bundesregierung »ernsthaft« befassen werde. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) war sich mit Fischer »einig, dass wir in den Gremien der NATO dieses Thema ansprechen«.

Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2009 hieß es, man wolle sich »im Bündnis und gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden«. Der Bundestag schloss sich dieser Forderung später an. Auch mit den Stimmen der Union. Zum ersten Mal überhaupt fordert ein NATO-Staat öffentlich den Abzug von US-Atomwaffen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD aus dem Jahre 2013 ist immerhin noch vom Abzug der Atomwaffen »aus Deutschland und Europa« die Rede.

Dass in der aktuellen angespannten Situation zwischen Russland und der NATO für notwendige Abrüstungsgedanken wenig Raum bleibt, ist zwar bedauerlich, aber nachvollziehbar. Doch muss es deshalb gleich eine Rolle rückwärts sein?

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