Freihandelsabkommen abseits der Wahrnehmung

Alexander Ulrich und Steffen Stierle über die Verhandlungen von EU und Japan und die Notwendigkeit eines breiten freihandelskritischen Diskurses

  • Alexander Ulrich und Steffen Stierle
  • Lesedauer: 4 Min.

Während die breite Öffentlichkeit sich sehr über die transatlantischen Abkommen TTIP und CETA (gelegentlich auch über TiSA) empört, verhandelt die EU zeitgleich rund 20 weitere Handelsverträge – darunter seit 2013 jenes mit Japan. Die Gespräche sind weit fortgeschritten und Trumps Absage an die Transpazifische Partnerschaft (TPP) hat zusätzlichen Drive gebracht. Offenbar soll der Deal noch 2017 eingetütet werden.

Über die Inhalte dieses Abkommens ist weniger bekannt, als über jene von TTIP und CETA. Dies liegt am geringen öffentlichen Interesse. »Wir verhandeln abseits der Wahrnehmung«, sagt ein EU-Diplomat. Bei TTIP und CETA ist es dem öffentlichen Druck geschuldet, dass nach und nach immer mehr Informationen preisgegeben werden mussten. Und je mehr ans Tageslicht kam, desto größer wurden die Empörung und damit der öffentliche Druck. Eine solche Dynamik gab es bei den Japan-Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt.

Zu den Autoren

Alexander Ulrich, Jg. 1971, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Deutschen Bundstag und Landesvorsitzender der LINKEN in Rheinland-Pfalz. 

Steffen Stierle, Jg. 1981, ist Attac-Aktivist und Mitinitiator des europäischen Lexit-Netzwerkes.

Dem zufolge, was man weiß, wird sich der Japan-Deal hinter CETA nicht verstecken müssen. Zweifelsohne geht es auch hier um eines dieser Abkommen der neuen Generation, bei denen klassische Zollsenkungen nur noch eine Nebenrolle spielen, während der Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse in den Vordergrund rückt. Dabei wird wohl der Automobilsektor eine große Rolle spielen. Hier liegt offenbar ein zentrales Interesse Japans, während die EU im Gegenzug auf eine weitgehende Liberalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe pocht.

Zudem soll ein moderner Investorenschutz, wie ihn die EU im Zuge der Verhandlungen mit den USA und Kanada entwickelte, Bestandteil des Abkommens sein. Dann würden auch japanischen Investoren Klagerechte eingeräumt werden, für den Fall, dass sie sich unfair behandelt fühlen oder eine indirekte Enteignung zu beklagen haben. Der Investorenschutz soll ganz ausdrücklich auf allen Ebenen, also bis in die einzelne Kommune hinein wirksam gemacht werden. So wurde es bereits 2012 im EU-Verhandlungsmandat festgelegt.

Das Verhandlungsmandat lässt zudem darauf schließen, dass auch hier Regulierungsräte vorgesehen sind, die im Interesse des internationalen Handels nach und nach bestehende Standards abbauen sollen. Auch Stillstands-Klauseln sind vorgesehen, die die Vertragsparteien verpflichten, einmal umgesetzte Liberalisierungen nie wieder rückgängig zu machen. Weitere Schwerpunkte dürften auf der Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistung sowie auf einem verschärften Schutz geistigen Eigentums liegen.

Qualitativ ist also ein Abkommen zu befürchten, um das im Kontext der TTIP- und CETA-Verhandlungen seit Jahren gestritten wird. Vielleicht wird es auch schlimmer. Schließlich wurden TTIP und CETA aufgrund des öffentlichen Drucks zumindest stellenweise entschärft. Einen solchen Druck gibt es gegenüber den Japan-Verhandlungen nicht. Und damit für die Verhandlungsführer auch nicht den Druck, darauf zu reagieren.

Dabei ist die japanische Volkswirtschaft gegenüber der kanadischen ungleich bedeutsamer. Die Wirtschaftsleitung liegt um das Dreifache höher, die Bevölkerungszahl um das 3,5-fache und das Handelsvolumen mit der EU um das Doppelte.

Das jährliche Volumen japanischer Direktinvestitionen in die EU liegt hingegen mit 6,9 Milliarden Euro noch deutlich hinter jenem der kanadischen (13,9 Milliarden). Hier dürfte es also noch ein immenses Potenzial für zusätzliches Investment in die EU geben. Sollte dieses in relevantem Umfang durch das Handelsabkommen mobilisiert werden, weil die potenziellen Investoren mit üppigen Marktzugangsrechten ausgestattet werden, und sollten jenen Investoren zugleich weitreichende Klagerechte eingeräumt werden – was offenbar vorgesehen ist - dann könnten die Folgen für öffentliche Dienstleistungen, Auftragsvergabe, Arbeitnehmerschutz, Umweltstandards etc. weit größer sein, als man heute annehmen würde.

So stark der Protest der außerparlamentarischen und parlamentarischen Opposition gegen TTIP, CETA und TiSA auch war und ist, so sehr zeigen sich die Grenzen widerständiger Aktivitäten, die punktuell bleiben. Wie es eine große Stärke der Bewegung ist, TTIP und CETA extrem zu politisieren und den öffentlichen Druck massiv hochzufahren, so ist es ihre Schwäche, den hohen Mobilisierungsgrad nicht in einen breiteren freihandelskritischen Diskurs übersetzt zu haben, der über das einzelne Abkommen hinausgeht.

Die EU verhandelt derzeit rund 20 Abkommen. Weitere Verhandlungen werden etwa mit Neuseeland und Australien angebahnt. Keine Bewegung und keine Oppositionspartei hat die Kompetenzen und Kapazitäten das alles einzeln mit gebührendem Aufwand zu beackern. Hilfreich wäre es, punktuelle Ansätze à la »TTIP ist böse« in einen generellen Diskurs über eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik zu übersetzen.

Das Alternative Handelsmandat, bereits vor Jahren von einigen Nichtregierungsorganisationen entwickelt, geht genau in diese Richtung. Auch die jüngst veröffentlichte Studie von Leon Podkaminer am Vienna Institute for International Economic Studies ist hilfreich, weil sie sehr schön zeigt, dass die weit verbreitete Annahme, nach der Freihandel zu Wachstum führt, Humbug ist. CETA und TTIP sind keine isolierten Probleme. Sie sind Teil einer höchst problematischen Ausrichtung der EU-Handelspolitik.

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