100 Tage und 100 Nächte Polemik

Sarah Yolanda Koss kommentiert zum 100. Mal das Bürgergeld

Mit vereinten Kräften bemühen Union und SPD in der Bürgergeld-Debatte das Klischee der sozialen Hängematte. Die Realität sieht ganz anders aus.
Mit vereinten Kräften bemühen Union und SPD in der Bürgergeld-Debatte das Klischee der sozialen Hängematte. Die Realität sieht ganz anders aus.

Eine Schonfrist von 100 Tagen soll US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930ern für die mediale Bewertung seiner Wirtschaftsreform, den »New Deal«, ausgehandelt haben. Heute gilt der Zeitraum als eine Art politische Warmlaufphase. Danach ziehen Medienvertreter*innen ein erstes Fazit zur Arbeit einer Regierung. Nun denn.

Nach 100 Tagen Koalition aus Union und SPD lässt sich sagen: Da war viel Polemik, insbesondere mit Blick auf die Bürgergeld-Debatte. Wie könnte man es am besten kürzen? Zum Beispiel, indem Menschen weniger Geld fürs Wohnen bekommen. Wem könnte man es am besten wegnehmen? Am besten jenen, die gerade erst angekommen sind – Ukrainer*innen. Dazu leidige Rufe nach mehr Sanktionen für angeblich nicht Arbeitswillige. Ein Diskurs, den beide Parteien im Chor weiter anheizen, um das Bild des Bürgergeldempfängers zu vermitteln, der sich in der sozialen Hängematte räkelt.

Dabei zeigen Statistiken schon lange: Viele Personen stocken mit dem Bürgergeld ihr Gehalt auf, weil es nicht zum Leben reicht. Zig andere können aufgrund von Erkrankungen, Pflegeleistungen, oder weil sie schlicht zu jung sind, nicht arbeiten. Am Mittwoch präsentierte die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung neue Fakten: Selbst das Einkommen mit dem Mindestlohn ist deutlich höher als mit dem Bürgergeld. Von wegen Hängematte also. Das Leben mit Bürgergeld ist auch ohne weitere Sanktionen alles, nur kein Zuckerschlecken.

Mit Polemik konnte schon Roosevelt aufwarten. »Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst«, soll er bei seiner Antrittsrede gesagt haben. Na ja. Menschen im Bürgergeldbezug fürchten ihre Wohnkosten. Und die Bundesregierung versetzen wohl Faktenchecks in Angst und Schrecken.

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