Bitte keine Frauschaft

Tag der Muttersprache

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Internationalismus ist gut - denn wer viele Sprachen spricht, kann in vielen Sprachen Unsinn reden. Aber Internationalismus darf auch mal enden. Also, trotz des toll großen Turms von Babbel: Lob der Muttersprache! Heute ist deren UNESCO-Welttag. Allen Völkern die ihre. Uns die schöne deutsche. Gottfried August Bürger lässt die Muttersprache das Wort ergreifen: »Wer mich verachtet, der wird wieder verachtet von seinem Zeitalter und schnell vergessen von der Nachwelt.« Diesem Urteil nicke ich beseelt zu. Auch wenn die Zukunft nach dem Willen einiger Extremisten (die auch schärfste Milizen der Sprachregulierung sind) offenkundig ganz anders aussehen möge: nationengereinigt, geschlechtsgereinigt - deutschgereinigt zuerst.

Aus meiner Schulzeit in Thüringen kenne ich den mahnenden Satz eines Lehrers, mit unwilligen Schülern müsse man »mal richtig deutsch reden«. Dass einem erst mählich klar wurde, was dieser Satz an Geschichte widerspiegelt - auch dies erzählt, was deutsche Sprache so alles hinter sich hat. Und warum Wachsamkeit geboten bleibt. Jedes Wort bringt eine Auffassungstendenz mit sich, der Blick auf beliebte Sentenzen ist daher immer auch: Tatwortbesichtigung.

Aber leider: Die Zahl der ermittelnden Kommissare wächst ungebührlich. So ist zu hoffen, dass ein Wort wie »man« überleben darf im Kreuzzug jeder rhetorischen Gleich- und Scharfmacher, die kulturlos ihr fad progressives »mensch« züngeln. Zu beten ist auch, dass die Mannschaft nicht zur »Frauschaft« werden muss. »Der« und »die« und »das« - ihr biologietreuen Winzigwörter, bitte, haltet durch! In Zeiten, da die Identität des Menschen (geistig, evolutionär) derart hysterisch angemacht wird, als sei sie unabweisbar das Signal eines frech sickernden Nationalismus, ach was: Präfaschismus.

Wenn ich deutsche Sprache denke, denke ich Mutterland und Vaterwitz. Ernst Jünger und Ernst Röhl. Joachim Ringelnatz und Joachim Fest. Heinz Erhardt und Volker Braun. Hermann Kesten und Hermann Kant. Herbert Roth und Wilhelm Müller. Karl Valentin und Karl Marx (Sie wissen schon: der Mann mit den leidenschaftlichen Jugendgedichten). Deutsch, das ist der elegische Reim von Rilke und der herrlich pampige Rülps des Rap. »Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen.« Sagte Jean Paul. Orgel ist Kirche. Kirche ist Besinnung. Besinnung ist Glück. Das Wort Sinn steckt darin. Das sind nur vier Buchstaben - die aber hervorstechen, indem sie sich nicht hervortun. Was sich hervortut, versündigt sich am Sinn. Das spüren wir bei so vielen Politikerreden. Von links bis konservativ: gestanzte Langeweile. Meist das falsche Wort zur richtigen Zeit. Bei wirklich Denkenden ist es umgekehrt, denn sie können nicht anders: Sie haben Mut.

Man stelle sich vor, jeder Politiker begänne seine Rede mit einem Gedicht! Da kriegst du am Pult doch eine ganz andere Geistes- und Körperhaltung. Als Zuhörer auch. Wenn Frau Merkel irgendwann Kleist rezitiert, es kann auch Reiner Kunze oder Klabund sein, dann ist das Land vielleicht noch zu retten.

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