»Es. Wird. Nicht. Geschehen.«

Alle Parteien schließen eine Koalition mit Geert Wilders aus / Gewinnen könnte er dennoch

  • Steffi Weber, Spijkenisse
  • Lesedauer: 5 Min.

Kamerateams aus Deutschland, England, sogar japanische Journalisten tummeln sich auf dem Marktplatz von Spijkenisse. In dem Städtchen, unweit von Rotterdam, wird Geert Wilders gleich Flyer für seine rechtspopulistische Freiheitspartei PVV verteilen. Eine alte Frau mit Rollator bleibt stehen und murmelt: »Ach Herrje, ist es wieder soweit?«

Die Einwohner von Spijkenisse haben sich bereits an die Besuche des Rechtspopulisten gewöhnt. Das Städtchen gilt als Hochburg der Freiheitspartei PVV von Wilders. Bei den Europawahlen 2014 wurde die PVV hier die mit Abstand stärkste Partei, letztes Jahr stimmten 80 Prozent der Wähler gegen das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine, auf nationaler Ebene waren es 60 Prozent. Kein Wunder also, dass Wilders am Samstag gerade hier den Startschuss zur Wahlkampagne für die Parlamentswahlen am 15. März gab.

Aber nicht nur Wilders buhlt um die Gunst des Arbeiterstädtchens. Auch sein größter Konkurrent, der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte der Rechtsliberalen VVD, startete im Oktober hier seine Kampagne. Die mittelgroße Stadt mit 70 000 Einwohnern ist der symbolische Kampfplatz der beiden Parteien, die an der Spitze der aktuellen Umfrageergebnisse liegen. In Spijkenisse wohnen die Unzufriedenen. Durchschnittsalter und -einkommen sind nahe beim nationalen Durchschnitt, die Anzahl der gering Qualifizierten liegt jedoch darüber. Die Einwohner haben es nicht schlecht, fürchten sich aber vor dem, was geschehen könnte. Sie sehen, dass die Hafenindustrie im nahen Seehafen Rotterdam unter Druck steht und befürchten, dass sie ihre Arbeitsplätze an Roboter oder Einwanderer verlieren könnten. Migranten sehen viele zudem als Bedrohung der niederländischen Identität, das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf.

»In den Niederlanden haben wir uns viele Freiheiten erkämpft. Homosexuelle können Hand in Hand auf der Straße gehen und einander in der Öffentlichkeit küssen. Das geht hier, und das soll auch so bleiben«, erzählt der 68-jährige PVV-Anhänger Jan Zwerus, während sich hinter ihm etwa hundert PVV-Fans versammeln. Eine Frau teilt Pegida-Flugblätter aus. Zwerus, ein pensionierter Unternehmer in der Medienbranche, sieht den Islam als Bedrohung des niederländischen Lebensstils. »In Quartieren, wo Muslime in der Mehrheit sind, können Frauen nicht mehr im Minirock über die Straße gehen, ohne als Hure beschimpft oder bespuckt zu werden«, erzählt er.

Als Wilders den Marktplatz betritt, beginnen die Fans zu johlen. Umzingelt von Leibwächtern, Polizei und Journalisten attackiert er erneut Marokkaner. Zwar seien nicht alle gemeint, es gäbe aber »viel marokkanischen Abschaum in den Niederlanden, der die Straßen unsicher mache.« Die Niederlande muss wieder niederländisch werden, so sein Motto. Wo andere Parteiprogramme über hundert Seiten dick sind, passt das der PVV auf eine einzige A4-Seite. Grenzen schließen für muslimische Migranten, Niederlande raus aus der EU, kein Geld mehr für Entwicklungshilfe, Windenergie, Kunst etc., das Renteneintrittsalter soll zurück auf 65.

Wie Wilders das praktisch umsetzen will, bleibt unklar. Umso mehr, da er höchstwahrscheinlich nicht mitregieren wird, alle anderen Parteien schließen eine Koalition mit der polarisierenden PVV aus. Ministerpräsident Mark Rutte, der 2010 seine Regierung noch durch die PVV tolerieren ließ, machte Ende Januar erneut unmissverständlich klar, dass eine Zusammenarbeit mit der PVV diesmal nicht in Frage kommt. Die Chance auf eine Zusammenarbeit sei null Prozent. »Es. Wird. Nicht. Geschehen«, twitterte der Ministerpräsident.

Die Botschaft war klar: Eine Stimme für die PVV lohnt sich nicht. Die Frage, für welche Partei sie stattdessen stimmen sollten, beantwortete Rutte eine Woche später in einem Brief »an alle Niederländer«, der ganzseitig in den wichtigsten Zeitungen des Landes erschien. »Verhaltet euch normal, oder geht«, schrieb der Ministerpräsident. Dass Rutte sich nicht an alle, sondern vor allem an die »neuen Niederländer« richtete, war kaum zu übersehen. Damit etabliert sich die regierende VVD als Lightvariante der PVV.

Die Strategie Ruttes scheint zu funktionieren. Die PVV hält zurzeit zwölf der 150 Sitze im Parlament, steht aber seit anderthalb Jahren fast ununterbrochen in den Umfragen an der Spitze, gefolgt von der VVD. Seit zwei Wochen sinkt die Wilders-Partei in der Gunst der Wähler. Da die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung kleiner wird, überlegen die Wähler es sich zweimal, ob sie aus purem Protest ihre Stimme vergeuden wollen. Andere Kommentatoren meinen, dass die Wähler erschrocken sind vom chaotischen Auftreten Donald Trumps, dessen Sieg Wilders im November gefeiert hat, als wäre es sein eigener.

Laut dem Peilingwijzer, einer Erhebung, die die Resultate diverser Umfragen mit einbezieht, liegt die PVV momentan mit 17 Prozent knapp vor der VVD. Es folgen die christdemokratische CDA und die Liberaldemokraten D66 mit je elf Prozent und die Grünen GroenLinks mit zehn Prozent. Auf etwas weniger kommen die Arbeiterpartei PvdA und die Sozialistische SP. Weil die Abstände statistisch gesehen gering sind, könnten fünf Parteien Mitte März das Rennen machen.

Das hat Folgen für die erste große Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten am kommenden Sonntag. Nun wurde auch ein fünfter Spitzenkandidat, Jesse Klaver von GroenLinks, eingeladen. Davon wollten Rutte und Wilders nichts wissen und sagten ab. Möglicherweise ein Fehler. Nachdem der Sender anfangs die Debatte ganz streichen wollte, wird sie nun dennoch stattfinden - nur ohne Rutte und Wilders, aber mit den Kandidaten der PvdA und der SP. Wer in der Fernsehdebatte zu überzeugen weiß, könnte als ernst zu nehmender Konkurrent von Rutte ins Rennen gehen.

Wilders scheint dies wenig zu kümmern. Er gab sich am Samstag zuversichtlich. Immer wieder wiederholte er: »Es werden historische Wahlen.«

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