Gott klopft an der Landtagstür

Hessen soll 2018 über seine Verfassung abstimmen - die Änderungen könnten erheblich sein

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn im Spätherbst 2018 ein neuer Hessischer Landtag gewählt wird, dann soll das Wahlvolk zeitgleich auch über den Entwurf einer neuen Landesverfassung abstimmen. Dies jedenfalls ist das Ziel des vom Landtag eingesetzten Konvents zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen. Der vom CDU-Abgeordneten Jürgen Banzer geleitete Ausschuss möchte damit in dieser Legislaturperiode zustande bringen, was bei früheren Anläufen scheiterte: einen breiten Konsens gesellschaftlicher Kräfte über Änderungen an der 70 Jahre alten Verfassung, die bei einer Volksabstimmung dann auch bestätigt werden. Hessen ist das einzige Bundesland, in dem nicht der Landtag, sondern das Wahlvolk auf Vorschlag des Parlaments das letzte Wort über Verfassungsänderungen hat.

Hessens Verfassung wurde 1946 von einer Verfassungsgebenden Versammlung ausgearbeitet und bei der anschließenden Volksabstimmung von einer breiten Mehrheit angenommen. Mit ihren Sozialisierungsartikeln, weitgehenden sozialpolitischen und gewerkschaftlichen Forderungen sowie der Ächtung von Kriegen gilt sie als fortschrittliches Spiegelbild der Stimmung in jenen Nachkriegsjahren - und war der seit 1999 im Lande tonangebenden CDU stets ein Dorn im Auge. Als Sachzwang für eine angeblich dringende »Entrümpelung« der Verfassung wird immer wieder die in Artikel 21 festgehaltene Möglichkeit der Todesstrafe »bei besonders schweren Verbrechen« herangeführt. Dieser Passus wurde seinerzeit offensichtlich unter dem frischen Eindruck der Verbrechen des NS-Regimes in die Verfassung aufgenommen. Weil die Todesstrafe jedoch laut Grundgesetz inzwischen abgeschafft ist und Bundesrecht Landesrecht bricht, haben auch hessische Richter nie Angeklagte zum Tode verurteilt.

Für die Arbeit des von 15 Abgeordneten aus den fünf Fraktionen gebildeten Konvents stehen fünf Verfassungsrechtler als »ständige Sachverständige der Fraktionen« zur Verfügung, zudem mehrere Dutzend Vertreter von kommunalen Spitzenverbänden, Religionsgemeinschaften, Wirtschaftsverbänden, DGB, Wohlfahrts-, Umwelt und Jugendverbänden, Wissenschaft und aus anderen Bereichen. Sie alle sollen in den Anhörungen zu Wort kommen, entsprechende Protokolle sind auf der Website des Landtags veröffentlicht.

Bislang sind nach Angaben Banzers rund 280 Änderungsvorschläge zu den insgesamt 161 Verfassungsartikeln beim Konvent eingegangen. Dazu gehören auch Formulierungen für eine Privatisierungsbremse nach dem Vorbild Bremens. Vorgeschlagen wird die Aufwertung von Ehrenamt, Kultur, bezahlbarem Wohnen, Inklusion, Tierschutz und Infrastrukturerhalt als Staatsziel sowie die Senkung des passiven Wahlalters und die Erleichterung von Elementen direkter Demokratie. Die Hürde in der Verfassung für die Einleitung von Volksentscheiden ist mit 20 Prozent aller Stimmberechtigten bislang im bundesweiten Vergleich sehr hoch.

Als einzige Landtagspartei möchte die Hessen-CDU zudem einen Gottesbezug in der Verfassung verankern. Sie orientiert sich dabei an der Grundgesetzpräambel, wo es heißt: »im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen«. Während die großen christlichen Kirchen diesen Vorstoß begrüßen, lehnen ihn die anderen Landtagsparteien als Ausgrenzung von Bürgern ohne Bindung an Kirchen und Religionsgemeinschaften ab. »In einer zunehmend säkulareren Gesellschaft einen Gottesbezug in die Verfassung aufzunehmen, wirkt wie ein Versuch, sich mit Zwang gegen die Freiheit zum Nichtglauben zu stellen«, erklärt der nicht zum Konvent eingeladene Humanistische Verband Deutschlands (HVD), der eine Online-Petition gegen den Gottesbezug gestartet hat. Der Anteil der Mitglieder einer christlichen Kirche an der Gesamtbevölkerung in Hessen sei in den letzten 70 Jahren von über 95 Prozent auf derzeit rund 60 Prozent gesunken, so HVD-Landeschef Florian Zimmermann.

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