Wer nichts gewinnt, bekommt keinen Penny

In Großbritannien verlieren immer mehr Sportarten ihre Förderung, damit andere noch mehr Medaillen holen

Wer deutsche Spitzensportler nach dem besten Fördermodell fragt, wird häufig nach Großbritannien verwiesen. Kein Wunder: Bei den Olympischen Spielen in London schnellte die Erfolgsausbeute der Briten in die Höhe. Sie gewannen 17 Medaillen mehr als 2008 und sprangen mit 65 mal Edelmetall im Medaillenspiegel auf Rang drei vor. Wer nur an ein Gastgeberstrohfeuer glaubte, wurde im Sommer 2016 eines Besseren belehrt. Großbritannien gelang als erster Nation, vier Jahre nach den Heimspielen seine Bilanz im Ausland noch einmal zu steigern. In Rio gewannen die Briten insgesamt 67 mal Gold, Silber und Bronze und waren mit 27 Olympiasiegen sogar an den Chinesen vorbeigezogen. Ganz billig war das nicht. Und mittlerweile zeigt sich: Immer weniger bekommen etwas vom teuren Kuchen ab.

Wie in Deutschland werden auch die Athleten auf der Insel mit viel Geld gefördert. Doch in Großbritannien verteilt nicht das Nationale Olympische Komitee das Geld, sondern die vor 20 Jahren gegründete Organisation UK Sport, die dem Sportministerium unterstellt ist. Vor London gab sie jährlich 78 Millionen Pfund (93 Millionen Euro) aus, in den vier Jahren danach waren es umgerechnet sogar 103 Millionen Euro. Da die Bundesministerien des Innern (BMI) und der Verteidigung mehr als das Doppelte in den deutschen Sport pumpen, drängt sich die Frage auf, warum sich deutsche Sportler überhaupt britische Verhältnisse wünschen.

Antworten darauf finden sich in den Details. »Jede Sportart bekommt Geld, um Athleten zu unterstützen, die in vier oder acht Jahren Medaillenpotenzial besitzen«, sagt Tom Degun, Sprecher von UK Sport. Wer also keine Medaille holen kann, bekommt keinen Penny. Das ist in Deutschland - noch - anders. Die Medaillenprognosen für Hallenvolleyballer, Basketballer oder Rugbyspieler lagen vor Rio bei null, und doch wurden sie gefördert. Die vage Aussicht auf die Olympiaqualifikation wäre den Briten keine Förderung wert. Die dominierenden Radsportler jedoch bekommen zweieinhalb mal so viel Geld wie ihre deutschen Kollegen. In den drei genannten Mannschaftswettbewerben hatte sich für Rio übrigens kein deutsches Team qualifizieren können. Und im Radsport gewannen die Briten zwölf Medaillen, die Deutschen zwei.

Des Weiteren unterstützt UK Sport nur Spitzensportler, die bei Olympia oder den Paralympics starten können. Der Breitensport oder nichtolympische Sportarten bleiben im Gegensatz zur Förderung des BMI außen vor. Darum kümmert sich die Organisation Sport England: Die bekam wiederum 333 Millionen Pfund, also fast 400 Millionen Euro. Hinzukommen ähnliche Förderungen in Schottland, Wales und Nordirland. Zwar geben auch die deutschen Bundesländer noch mal 526 Millionen Euro für den Sport aus, doch hier werden sie von den Briten überholt, besonders wenn man die Summen in Relation zur Bevölkerungszahl setzt.

Vor allem aber wird im Gegensatz zu Deutschland nur etwa ein Drittel des Geldes für UK Sport oder Sport England von Steuerzahlern aufgebracht. Der Rest wird durch Lotterieeinnahmen finanziert. Während die deutsche Sporthilfe jährlich nur vier Millionen Euro von der Glücksspirale erhält, pumpt die National Lottery mehr als 500 Millionen Pfund in den britischen Sport.

Doch genau hier wackelt nun das System, denn die Briten sind nicht mehr so glücksspielbegeistert wie früher. Die Einnahmen sanken 2016 um sechs Prozent - ein Trend, der sich schon in den Vorjahren abgezeichnet hatte, als die Regierung ihren Anteil an der Sportförderung noch mal um 29 Prozent erhöht hatte, um die Zusagen einzuhalten. Jetzt hält der Finanzminister jedoch den Deckel drauf. UK Sport plant noch mit einem Etat, der über vier Jahre nur zwei Millionen Pfund unter dem des vorherigen Zeitraums liegt, doch könnten die Einnahmen um insgesamt 30 Millionen einbrechen, wenn nicht wieder mehr Menschen Lotto spielen.

»Mit den begrenzten Ressourcen musste UK Sport harte Entscheidungen treffen. Nur so können wir unser Ziel aufrecht erhalten, in Tokio noch mal mehr Medaillen zu gewinnen als in Rio«, sagt Tom Degun gegenüber »nd«. Was das heißt, bekamen vor wenigen Tagen Fechter, Bogenschützen, Gewichtheber, Goalballer sowie Tischtennis-, Rollstuhlrugby- und Badmintonspieler zu spüren. Sie scheiterten allesamt mit ihren Klagen gegen den kompletten Entzug ihrer Förderung. »Wir würden gern in jeden Sport investieren, doch wenn wir alle unterfinanzieren, werden alle schlechter, und wir riskieren unsere Medaillenchancen«, verteidigt Liz Nicholl, Geschäftsführerin von UK Sport die Streichungen. Wurden vor fünf Jahren noch 27 olympische Sportarten gefördert, sind es jetzt nur noch 16 - die aber insgesamt mehr Geld bekommen als vor den Spielen 2012. Mit Rudern, Leichtathletik, Segeln, Radsport, und Schwimmen erhalten die Sportarten mit den meisten Medaillenchancen auch das meiste Geld.

Badminton ist jetzt der erste Verband, der alle Mittel (1,7 Millionen Euro) verlor, obwohl er sein Medaillenziel in Rio erreicht hatte. Jedoch gewann damals nicht die geförderte Ex-Weltmeisterin Gail Emms Bronze, sondern das Überraschungsdoppel Chris Langridge und Marcus Ellis. »Jetzt kommen wir wieder an den Punkt, an dem sich die Spieler Jobs suchen müssen und Badminton in ihrer Freizeit spielen«, klagte Emms.

Die Verbände sind angehalten, selbst nach neuen Geldquellen zu suchen. So soll »die Abhängigkeit von öffentlicher Finanzierung reduziert werden«, beschreibt Tom Degun die neuen Vorgaben der Regierung. Da wird so mancher deutsche Sportler froh sein, dass er noch nicht betteln gehen muss.

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