Ein Gymnasium für Kreuzberg 36

Die Refik-Veseli-Schule bekommt als erste ihres Ortsteils eine eigene gymnasiale Oberstufe

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon um 18 Uhr stehen die ersten Kinder mit ihren Eltern vor dem Mehrzweckraum der Refik-Veseli-Schule, um Plätze für den Vortrag zu ergattern, der erst in einer halben Stunden beginnen soll. Ein Vortrag über die erste Schule im Ortsteil Kreuzberg 36, die nach den Sommerferien und im Verbund mit einer Friedrichshainer Schule eine eigene gymnasiale Oberstufe bekommen soll. Zwar hat sich die Bevölkerungsstruktur in diesem Kiez über die Jahre stark verändert, die Schulen hatten es aber bisher nicht. Bis Ende März können sich Schüler erstmals für die elfte Klasse zum Abitur anmelden, heute lädt Schulleiterin Ulrike Becker zum Infoabend.

Der Saal füllt sich schnell. Über 60 Interessierte sind gekommen, Mädchen und Jungen, mit und ohne Eltern, aus Kreuzberg und Lichtenberg, viele mit sogenanntem Migrationshintergrund, einige wenige ohne. Ein Umstand, der der Schule lange den Stempel »Problemschule« aufdrückte. Die Schule hatte keine eigene gymnasiale Oberstufe - wie alle Schulen im gesamten Ortsteil des ehemaligen Postzustellbezirks Südost 36. Eltern, deren Kinder später auf ein Gymnasium sollten, meldeten diese deshalb gar nicht erst an der Refik-Veseli-Schule an, obwohl sie später hätten wechseln können.

Das Problem der fehlenden »leistungsstarken« Schüler haben auch andere Sekundarschulen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte deshalb beschlossen, dass Integrierte Sekundarschulen (ISS) ohne gymnasiale Oberstufe, wie die Refik-Veseli-Schule eine ist, diese im Verbund mit anderen Schulen anbieten können. Rund 30 Sekundarschulen haben sich bis heute dafür entschieden, diesen Weg untereinander oder zusammen mit Gymnasien gehen zu wollen.

Es waren die Eltern und Schüler, die sich in Kreuzberg 36 dafür einsetzten. »Die haben gesagt: Hier ist ein Bildungsghetto«, erzählt Becker. Im Januar 2015 genehmigte die Bildungsverwaltung der Schule, eine gymnasiale Oberstufe zusammen mit der Friedrichshainer Emanuel-Lasker-Schule anzubieten. Seitdem hat sich vieles geändert. »Wir sind seit zwei Jahren übernachgefragt«, sagt Becker. Die Schule kann nun 60 Prozent der Plätze nach Noten vergeben, der Rest wird verlost. Ein Drittel soll an Kinder mit Gymnasialempfehlung vergeben werden. »Es haben sich genug beworben«, sagt Becker.

Und noch etwas hat sich geändert: »2013 hatten wir nur einen deutschen Schüler an der Schule. Jetzt sind es 20 Prozent.« Auch die Zahl der Schüler mit Lernmittelbefreiung sei gesunken. Migrationshintergrund, Leistung, Armut - alles scheint an dieser Schule zusammenzukommen, was nicht zusammengehört und doch oft zusammenfällt. Becker ist sich dessen bewusst. Die Frage »deutsch oder nicht-deutsch?« ist für sie nicht entscheidend. Sie hat eine eigene Definition für den Erfolg: »Eine gute Mischung ist, wenn die Gesellschaft abgebildet ist, mit all ihren Unterschieden.« Vor allem in der siebten und achten Klasse sei dies bereits der Fall - hier sitzen die Kinder, die sich nach der Entscheidung zur gymnasialen Oberstufe angemeldet haben.

Im Wandlungsprozess zum neuen Image hat Klaus Brunswicker die Schule beraten. Er war Schulleiter der ISS Sophie-Scholl in Schöneberg, die seit Jahren unter den zehn beliebtesten Gemeinschaftsschulen rangiert. Seine Beratungstätigkeit war Teil des Programms »Tournaround«, das die zehn schwächsten Schulen Berlins seit 2013 förderte und von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Senat finanziert wurde. Im Juli läuft das Programm aus.

Beim Vortrag vergangene Woche startet Becker eine Power-Point-Präsentation. Sie stellt die Fächer der Schule vor: Neben Englisch, Französisch und Spanisch kann man auch Türkisch lernen. Ein Schüler will wissen: »Es gibt doch auch viele arabische Schüler hier. Warum gibt es kein Arabisch?« Brunswick weiß: »Das ist noch gar nicht zum Abitur zugelassen.« Die Zahl der Leistungskurse ist hingegen übersichtlich. »Wir wollen nicht zu viele Kombinationen anbieten, weil wir nicht die Räume haben«, erklärt Becker.

Tatsächlich ist der Platz ein Problem. Deshalb starten zunächst nur jeweils zwei elfte Klassen an den alten Standorten in Kreuzberg und Friedrichshain. Insgesamt 100 Kinder, für mehr fehlt schlicht der Platz. Laut Becker gibt es Überlegungen, das Gebäude der ehemaligen e.o.-plauen-Grundschule in der Wrangelstraße zu nutzen, um einen gemeinsamen Ort für alle zu schaffen. Die Grundschule war 2013 mit der Begründung geschlossen worden, es gebe zu wenig Schüler. Inzwischen platzt die Nürtingen-Grundschule am nahen Mariannenplatz, die die Schüler aufgenommen hat, aus allen Nähten. Die Idee, dort anzubauen, um die Abiturienten unterzubringen, dürfte hier auf wenig Gegenliebe stoßen.

Die Präsentation ist zu Ende, Georgina Kenza Zaouche steht auf. Die Schülerin aus Lichtenberg kennt die Refik-Veseli-Schule von ihren Cousins: »Die Lehrer sind cool, der Unterricht ist gut. Man wird gut gefördert.« Mutter Nicole hat noch eine andere Motivation: Der Weg zum Abitur dauert hier drei Jahre, auf den Gymnasien zwei. »Es ist schön, dass den Kindern hier der Druck genommen wird.« Paula Pfister aus Friedrichshain stellt sich um den Kreis, der sich um Becker gebildet hat. »Mir ist wichtig, dass die Leute bunt gemischt sind. Und damit meine ich nicht die Hautfarbe.«

Doch nicht alle sind freiwillig hier. Jonathan ist mit Vater und jüngerer Schwester aus Prenzlauer Berg gekommen. »Man bekommt halt nicht überall einen Platz.« Sein Vater, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, konkretisiert: »Die Schulen in Prenzlauer Berg haben uns gesagt, dass wir da nicht unterkommen.«

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