Ist Deutschland reif für einen Mann als Kanzlerin?

Beim traditionellen Starkbieranstich am Nockherberg in München wurden wichtige Grundfragen der Zeit gestellt

  • Marco Hadem, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Was für eine Vorstellung: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Martin Schulz rauchen in einer Hotellobby in Bayern einen Joint. »Schulz, ich glaube Deutschland ist noch nicht bereit für einen Mann als Kanzlerin«, sagt Merkel und sinniert mit »Vizekanzler Schulz« über eine Fortsetzung der großen Koalition nach der Bundestagswahl im Herbst. Alles könnte so schön sein, bis er kommt: Horst Seehofer. Schlafwandelnd ringt er Merkel im Kampf nieder und fordert die Obergrenze für Flüchtlinge. Doch auch beim Singspiel des diesjährigen Starkbieranstiches auf dem Nockherberg am Mittwochabend in München mit dem vielsagenden Titel »Sheining« bleibt Merkel hart. »Nein, nein«, schreit sie. Erst mit der Unterstützung von Schulz kann sie sich befreien.

Die Szene zeigt nicht nur, dass Regisseur Marcus H. Rosenmüller und Autor Thomas Lienenlüke ihrer Fantasie auch im Bundestagsjahr keine Grenzen gesetzt haben. Sie fasst auch zusammen, was in der CSU gefürchtet wird - trotz offizieller Koalitionsankündigungen nach dem Münchner Friedensgipfel. Denn was vom großen Unionsbekenntnis zu halten ist, wird sich erst nach der Wahl am 24. September zeigen. Spätestens dann nämlich werden entweder Merkel oder Seehofer ihre Meinung ändern müssen. Bei der Frage der Obergrenze sind keine Kompromisse denkbar. Entweder sie kommt - oder sie kommt nicht. Und für diesen Fall will Seehofer die CSU in die Opposition führen.

Auch dafür hat das Singspiel ein passendes Bild parat: Wegen fehlender freier Betten sollen sich ausgerechnet Merkel und Seehofer im Hotel »Zur schönen Aussicht« ein Gemach teilen. »Horst, das ist doch kein Problem, du schläfst rechts und ich in der Mitte«, sagt Merkel. Er wolle aber nicht zu viele Berührungspunkte haben, antwortet Seehofer. »Horst. Man kann jahrzehntelang im selben Bett liegen, ohne sich zu berühren. Das hat was mit Respekt zu tun.«

Für den Fall, dass sich CSU und CDU durch Dauerstreits doch nicht selbst den Weg zum Wahlsieg blockieren, haben sich die Fraktionschefs von Grünen und LINKEN im Bundestag, Anton Hofreiter und Sarah Wagenknecht, sowie der scheidende Chef der Bayern-SPD, Florian Pronold, einen Plan ausgedacht. Mittels eines alten Apparates wollen sie die Spitzen der CSU klonen, damit die Partei sich anschließend mit Fake News lächerlich macht. Hofreiter: »Sarah, verstehst, die Welt hat sich geändert: Putin macht digital Wahlkampf für Trump, die AfD holt mit gefälschten Fakten über zehn Prozent - wir dürfen das Fälschen der Welt nicht den Rechten überlassen.«

Und dann ist da noch der schwer integrierbare Flüchtling mit »christsozialer Leitkultur«, der für seine Einbürgerung laut fordert »Bayern muss Bayern bleiben« und in die AfD eintreten will - zumindest solange Innenminister Joachim Herrmann und Finanzminister Markus Söder im Raum sind. Doch am Ende kommt es, wie es kommen muss: Der Plan zur Revolution scheitert. Wegen Missgunst, Misstrauen, Pannen und Unvermögen sind am Ende nur noch Klone auf der Bühne - zumindest ist nicht mehr erkennbar, wer noch echt ist.

»Riesenbetrug beim Singspiel! Extrablatt! Hotel war gar kein Hotel! Klonmaschine war nur erfunden. Schauspieler gingen einfach hintenrum! Extrablatt!«, ruft am Ende ein Zeitungsverkäufer und provoziert viele Lacher. Passend zur Kernfrage hält das Stück damit dem Publikum den Spiegel vor: Keiner kann mehr sagen, ist das alles wahr oder doch nur Fiktion, also Fake News? dpa/nd

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