Wer sich am Narzissten stört

Was hilft es, Donald Trump einen gestörten Ich-Fanatiker zu nennen?

  • Wolfgang Schmidbauer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir leben in einer Zeit der Selbstbespiegelung, in der Narzissten oft erfolgreich sind, auch im Beruf. Während Sigmund Freud in seiner ›Einführung des Narzissmus‹ noch von einem Krankheitsbild sprach, von einer schweren Persönlichkeitsstörung, sind heute viele Eigenschaften des Narzissten nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sie stoßen teilweise sogar auf Bewunderung«, schreibt der Psychiater Reinhard Haller. Diese Sätze stammen aus der Süddeutschen Zeitung (SZ.de, 14.2.17), in der Haller den amerikanischen Präsidenten des »malignen« Narzissmus verdächtigt. Diese Form der Ferndiagnose und des autoritären Moralisierens mit pseudowissenschaftlichem Vokabular wird mit ärztlicher Sorge gerechtfertigt, welche angesichts von Donald Trumps Verhalten angebracht sei und die sonst übliche Zurückhaltung in solchen Fragen aufhebe. Otto Kernberg, ein Zunftkollege von Haller, hatte kurz zuvor ähnliche Fragen von Journalisten elegant abgewehrt: Trump sei nicht sein Patient, daher könne er nichts sagen - und wenn er sein Patient wäre, könnte er erst recht nichts sagen.

Wenn seriöse Zeitungen anfangen, Triviales und Falsches zu mischen, um einen trivial tönenden und lügenden amerikanischen Präsidenten zu entlarven, muss man sich Sorgen machen. Ist es eine »schwere Persönlichkeitsstörung«, alles aus der »Ich-Perspektive« wahrzunehmen? Was für ein Unsinn; wir alle nehmen die Welt aus der Ich-Perspektive wahr, ausgenommen vielleicht Psychiater. Freud hat in dem erwähnten Text zur Einführung des Narzissmus keineswegs von einer Persönlichkeitsstörung gesprochen. Er sah Narzissmus und Liebe gleich nüchtern als Pole eines seelischen Geschehens: das kleine Kind liebt sich selbst, dann richtet es die Libido auf Eltern und Geschwister, als Erwachsener auf die »Liebesobjekte«; wenn Liebe enttäuscht wird, »besetzt« die Libido wieder das eigene Ich.

Persönlichkeitsstörungen gab es zu Freuds Zeiten noch gar nicht als Begriff. Als Phänomen sind sie so alt wie Kain und Abel. Sie wurden zu Freuds Zeiten »Psychopathie« genannt. Der Psychiater Ernst Kretschmer sagte 1919 über Psychopathen: »In ruhigen Zeiten diagnostizieren wir sie; in unruhigen regieren sie uns.« Das war Jahre bevor Hitler und Stalin auffällig wurden, die heute in den Texten über den bösartigen Narzissmus die wichtigsten Beispiele sind.

Was ist dagegen einzuwenden? In der Politik geht es um Moral, um Grundsätze; in der Psychologie um Verständnis und um die Möglichkeiten, Menschen zu beeinflussen. Wenn wir den Narzissmusbegriff nicht als Moralkeule verwenden, sondern als Verständnisweg, dann müssen wir zugestehen, dass der Psychiater, der Trumps Narzissmus diagnostiziert, nicht weniger aus narzisstischen Motiven heraus handelt als der Präsident. Beide wollen auf uns Eindruck machen, beide streben nach Überlegenheit. Sie suchen nicht den Konsens, sondern die Macht.

Tatsächlich haben psychologische Begriffe aber nur dann einen klinischen Sinn, wenn wir uns mit dem Beschriebenen einigen können, wenn der Depressive sich mit dem Therapeuten darüber einig ist, dass er eine Depression hat, wenn der Zwangskranke an seinen Ritualen leidet und die Diagnose als Weg in die Behandlung annehmen kann. Wo sich Menschen um Definitionsmacht streiten, kann uns die Psychologie nur noch helfen, solche Eskalationen zu verstehen. Diagnosen bringen nicht mehr weiter, weil sie das Machtverhältnis als bereits geklärt ausgeben.

Trump fühlt sich missverstanden und hetzt gegen seriöse Medien. Er bezichtigt sie pauschal der Lüge; umgekehrt haben die so Gescholtenen keine Hemmungen mehr, ihn zu blamieren und die schmutzigsten Geschichten über Orgien in Hotelzimmern zu verbreiten. Es führt zu keinen neuen Erkenntnissen, wenn wir den erfolgreichen Unternehmer, Familienvater und politischen Späteinsteiger Trump mit bösartigen Tyrannen vergleichen, es drückt eher Hilflosigkeit aus und eine verwirrende Beliebigkeit in der Begriffsbildung, die vielleicht das eigentliche Problem des Psychologisierens in der Politik ist.

Wer mit Menschen kommunizieren will, die narzisstisch sehr bedürftig sind, sollte auf keinen Fall versuchen, sie sich mit Kritik an ihrer Persönlichkeit zuzurichten. Das Prinzip wäre, kritische Botschaften in möglichst viel Respekt zu verpacken, ohne in der Sache einen Millimeter nachzugeben.

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