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Albert Einstein: »Gott würfelt nicht«
Albert Einstein zweifelte seinerzeit an der Quantenmechanik. Die Einwände führten letztlich zu einer Schärfung der neuen Theorie
In der Schaffenszeit von Albert Einstein (1879–1955) veränderte sich dessen Arbeitsgebiet – die Physik – grundlegend. Er selbst trug wesentlich zum Wandel bei. Einstein setzte die beiden Relativitätstheorien in die Welt und wirkte an weiteren Theorien mit. Darüber hinaus bereicherte er die Wissenschaft durch Theorieentwürfe, kritische Reflexionen und mehr.
Im 19. Jahrhundert wurden die Mechanik sowie die Gravitationstheorie nach Newton durch die Elektrodynamik nach Maxwell und die Thermodynamik nach Boltzmann et alias zu einem eindrucksvollen Wissensgebäude vervollständigt. Der erreichte Stand, nachträglich als Klassische Physik bezeichnet, stiftete einerseits praktischen Nutzen und rundete andrerseits das damalige wissenschaftliche Weltbild ab. Ungeachtet der Erfolge wurde die Klassische durch die Moderne Physik – aus Allgemeiner Relativitätstheorie und Quantentheorie bestehend – abgelöst. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ereignete sich diese wissenschaftliche Revolution. Der Begriffsapparat von Thomas Kuhn passt bemerkenswert gut auf das Geschehen. Die Anomalien nach Kuhn, welche sich auf herkömmliche Weise nicht erklären lassen und sich dann zur Krise verdichten, waren hierbei unerwartete physikalische Entdeckungen.
Unter anderem zeigten Präzisionsmessungen, dass sich Licht im Vakuum unter allen Umständen gleich schnell ausbreitet. Das widerspricht der Klassischen Mechanik. Einstein legte 1905 eine alternative Mechanik vor, genannt Spezielle Relativitätstheorie, welche die Universalität und die Grenzwertigkeit der Lichtgeschwindigkeit c als ein Axiom enthält. Ein Problem war gelöst, ein anderes, nicht minder ernstes, stellte sich jedoch ein: Die Gravitation oder allgemeine Schwere lässt sich nicht konsistent im Rahmen der Speziellen Relativitätstheorie beschreiben. Einstein war weiter gefordert. Seine Problemlösung, die ab 1915 vorgestellte Allgemeine Relativitätstheorie, erwies sich über das gestellte Ziel hinaus als eine neue fundamentale Lehre von Raum, Zeit und Gravitation.
Von der Empirie zur Theorie
Die beiden Relativitätstheorien erschienen als Geniestreiche Albert Einsteins. (Dabei erwies sich die Spezielle Theorie als wichtiger Grenzfall der Allgemeinen Theorie.) Ganz anders verlief die Geschichte der Quantenphysik: Empirische Befunde häuften sich und riefen nach einer theoretischen Erklärung. Entsprechende Versuche durchliefen mehrere vorläufige Fassungen. Die fertige Theorie ist das Verdienst vieler Autoren. Der überragenden Nützlichkeit der Quantentheorie steht eine bis heute nicht abreißende Diskussion der Grundlagen gegenüber.
Vor 1900 konnte man nicht einmal einen wohlbekannten Effekt – die Abgabe von Wärme durch erhitzte Körper – befriedigend erklären. Max Planck (1858–1947) nahm probehalber an, dass bei dem Vorgang Wärmenergie nicht kontinuierlich abgegeben wird, sondern portionsweise. Die sehr kleinen Portionen erhielten den Namen Quanten. Planck kam vermöge dieser Hypothese auf eine Formel und eine Kurve, welche mit den Messungen in Einklang steht. Sein Artikel von 1900 gilt als das Gründungsdokument der Quantentheorie.
Die Diskretisierung des Lichts
Einstein wendete 1905, durch Planck angeregt, die Idee der Diskretisierung auf ein anderes Phänomen an – den sogenannten fotoelektrischen Effekt: Unter Umständen setzt Bestrahlung eines Materials mit Licht Elektronen frei. Die Wirkung hängt seltsamerweise nicht von der Intensität, sondern von der Wellenlänge des Lichts ab. Einstein nahm nun an, dass der Vorgang aus Elementarereignissen zusammengesetzt ist: Ein kleines Energiepaket des Lichts – später Photon genannt – schlägt jeweils aus dem bestrahlten Material ein Elektron heraus. Die Befunde konnten mit diesem Ansatz gut erklärt werden. Für seine erfolgreiche Behandlung des fotoelektrischen Effekts erhielt Einstein den Nobelpreis für Physik des Jahres 1921. (Die Relativitätstheorien, seine größeren Leistungen, vermochte das Nobelpreiskomittee damals nicht sachgerecht einzuschätzen.)
Einstein hat noch etliche weitere innovative Arbeiten über Quanteneffekte geschrieben. Sein Paper von 1917 über stimulierte Lichtemission sagt das Funktionsprinzip des Lasers voraus. Dieser ist von der Technik heute nicht mehr wegzudenken. Gemeinsam mit dem indischen Physiker S. N. Bose (1894–1974) führte Einstein eine der beiden fundamentalen Quantenstatistiken ein – die Bose-Einstein-Statistik. (Es handelt sich um eine Abzählmethode für eine Art von Quantenzuständen.)
Eine einheitliche Physik für alle Situationen und alle drei Etagen des Universums – Mikro-, Meso- und Makrokosmos – fehlt bisher.
Diskretisierung von Energie beziehungsweise Strahlung war damals neu, solche von stofflicher Materie war dagegen seit der Antike ein Thema: Atomismus ist die Ansicht, dass alle Stoffe aus kleinsten Bausteinen – den Atomen – bestehen. Just um 1900 herum avancierte der Atomismus von einer philosophischen Denkfigur zu gesichertem Wissen. An dem Umschwung hatte wiederum Einstein einen Anteil: Er erklärte die sogenannte Brownsche Bewegung – die unter dem Mikroskop erkennbare unregelmäßige Zickzackbewegung sehr kleiner Körnchen in einer Flüssigkeit – erfolgreich atomistisch. Die Atome oder Moleküle der Flüssigkeit befinden sich demnach in unaufhörlicher thermischer Bewegung und stoßen sporadisch die Körnchen an. Einsteins entsprechender Artikel von 1905 gilt als anschaulicher Beleg für den atomaren Aufbau der Materie.
Nachdem die Existenz der Atome bestätigt war, fragte man folgerichtig nach deren Struktur. Experimente ließen einen elektrisch positiv geladenen Atomkern und eine negativ geladene Hülle vermuten. Ernest Rutherford (1851–1937) setzte hypothetisch das winzige Atom in Analogie zum gewaltigen Planetensystem: Wie die Planeten die Sonne umkreisen, so umrunden Elektronen den Atomkern. Niels Bohr (1885–1962) fügte eine Quantenbedingung hinzu, welche nur eine bestimmte Serie von Elektronenbahnen zulässt. Das weiterentwickelte Rutherford-Bohr-Modell erklärt die Emissionspektren der Atome und grundsätzlich auch das Periodensystem der chemischen Elemente.
Schrödinger berief sich auf Thesen von Louis de Broglie (1892–1976). Der französische Physiker postulierte in seiner 1923 eingereichten Dissertation: Nicht nur kann (wie bekannt) eine Welle ein Teilchen simulieren; umgekehrt wird auch jedes elementare Teilchen von einer Welle begleitet. Zwischen den undulatorischen Eigenschaften Frequenz und Wellenzahl einerseits und den Partikeleigenschaften Energie und Impuls andrerseits besteht nach de Broglie eine universelle Proportionalität. Ein Teil der tonangebenden Physiker übernahm das Konzept der Materiewelle, ein anderer Teil blieb skeptisch. Einstein und Schrödinger gehörten zur zustimmenden Fraktion.
Das Konzept der Materiewelle
Weil die Quantenbedingungen ad hoc (einfach so) gesetzt wurden, suchte man weiter nach einer geschlossenen Theorie. Den Anspruch erhoben einige Jahre später gleich zwei Konstruktionen – die ab 1925 von Werner Heisenberg (1901–1976) vorgelegte von ihm so genannte Matrizenmechanik und die 1926 von Erwin Schrödinger (1887–1961) bekannt gegebene Wellenmechanik. Beide knüpfen an hoch entwickelte Formalismen der Mechanik und Optik an, und sie fügen jeweils eine besondere Hypothese hinzu.
Schrödinger beschreibt die Materiewelle durch eine – dann nach ihm benannte – Differenzialgleichung. Matrizen- und Wellenmechanik wurden bald darauf als inhaltlich gleichwertig, nur der Form nach verschieden, nachgewiesen. Heisenbergs Matrizen erwiesen sich als lineare Operatoren in einem komplexen Hilbertraum; Schrödingers Wellen- oder Psifunktion ist ein Element eben dieses Raumes. Wie andere Funktionen auch, lässt sich letztere grafisch veranschaulichen. (Die Bilder sind ästhetisch ansprechend.)
Heute dominiert die Schrödinger-Darstellung; gleichwohl wird die Heisenberg-Darstellung ebenfalls gelehrt. Damals stand nun die Frage: Was stellt die Wellenfunktion eigentlich dar? Max Born (1882–1970) fand die Antwort: Das Betragsquadrat der komplexwertigen Psifunktion, einer Lösung der Schrödingergleichung, ist die Dichte der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des jeweils beschriebenen Teilchens. Die Deutung lässt sich sinngemäß auf mehrere Teilchen ausdehnen.
Indeterminismus der Quantentheorie
Max Born hat seine Interpretation als Vorschlag verstanden; tatsächlich wurde damit ein Umsturz des physikalischen Weltbilds ausgelöst. Nämlich: Wahrscheinlichkeit tritt seitdem als eine fundamentale (d.h. von nichts anderem abhängige) physikalische Größe auf. Die Quantentheorie wurde als indeterministisch erkannt. Ein einzelnes Messergebnis kann nicht vorhergesagt werden. Die Theorie liefert in einer bestimmten physikalischen Situation nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Messwerte bei Wiederholungen des Experiments. Mehr als die Verteilung kann man prinzipiell nicht wissen. Die sogenannte Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie, die Heisenbergsche Unschärferelation, eine Reihe von Gedankenexperimenten und mehr untersetzen den Indeterminismus der Quantentheorie.
Albert Einstein akzeptierte diese abrupte Wendung nicht. Er hielt die Quantentheorie seiner Zeit für ein Provisorium, als einen Platzhalter für eine noch zu findende bessere – nämlich deterministische – Theorie. Einstein brachte seine Opposition auf den Punkt in einer Metapher, welche den Gottesbegriff heranzieht. In einem Brief an seinen Freund Max Born im Dezember 1926 schreibt er: »Ich bin überzeugt, dass der Alte nicht würfelt.« Auch in späteren Briefen ist ablehnend vom »würfelnden Gott« die Rede. Ernsthafter argumentierte Einstein gegen den Indeterminismus, indem er sich Gedankenexperimente mit paradoxen Konsequenzen ausdachte. Das bekannteste solche Paradoxon wurde 1935 in einer gemeinsamen Arbeit von A. Einstein, B. Podolsky und N. Rosen präsentiert. Die nachträgliche Sensation ist, dass die im EPR-Paper (wie man abkürzend sagt) eingeführte »Verschränkung« sowie die paradoxe »spukhafte Fernwirkung« experimentell nachgewiesen wurden! Durch seine – widerlegten – Einwände hat Einstein eine Schärfung des Begriffsapparats der Quantentheorie bewirkt.
Bis heute keine Einheitstheorie
Aus historischer Distanz kann man in der Entwicklung der Physik eine gewisse Logik erkennen: Die Klassische Physik bewährt sich in Situationen mit moderaten Abmessungen, Zeitspannen und Geschwindigkeiten. Für extreme Situationen ist dagegen die Moderne Physik unentbehrlich – die Quantentheorie für die Welt im sehr Kleinen und die Allgemeine Relativitätstheorie für die Welt im sehr Großen beziehungsweise für hohe Geschwindigkeiten. Eine einheitliche Physik für alle Situationen und alle drei Etagen des Universums – Mikro-, Meso- und Makrokosmos – fehlt bisher. Einstein war ein Pionier bei der Suche nach der Einheitstheorie. Er beschränkte sich auf einen ersten Schritt – die Vereinheitlichung von Elektromagnetismus und Gravitation. Keiner seiner Ansätze hatte Erfolg, aber ein Anfang war gemacht.
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