»Eigentlich wie in jedem Golfverein«

Der Wahlfälschungsskandal bei der CDU Steglitz-Zehlendorf drückt stadtweit auf die Stimmung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Irgendwann reicht es dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) am Mittwochabend. »Mich stört, dass wir über diesen Quatsch andauernd sprechen«, sagt er. Mit dem »Quatsch« meint er den Fälschungsskandal im christdemokratischen Kreisverband Steglitz-Zehlendorf. Bekanntlich wurden 350 gefälschte Wahlzettel identifiziert, mit denen die Parteimitglieder über die Frage abstimmen sollten, ob Delegierte oder die Mitglieder selbst über den Direktkandidaten zur Bundestagswahl im September entscheiden sollen. Während der Kreisverbandsvorsitzende und Ex-Justizsenator Thomas Heilmann für die Urwahl plädiert, ist der langjährige Wahlkreisinhaber Karl-Georg Wellmann dagegen. Keiner der Kontrahenten ist im Saal. »Das ist eigentlich wie in jedem Golfverein«, findet Diepgen, dem an diesem Abend viel Bürgernähe attestiert wird.

Eigentlich ist der Abend im Pfefferberg-Theater in Prenzlauer Berg als Geschenk zum 75. Geburtstag des ehemaligen langjährigen Regierenden gedacht. Einen »Großstadtkongress« wünschte sich Diepgen, der 16 Jahre minus einen Tag Berlin regierte, um den Ehrentag, der allerdings schon am 13. November war, zu würdigen. Ihn treibt die darbende CDU um. Zusammen mit seinen früheren Amtskollegen Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust, besser bekannt als Ole von Beust, (61) aus Hamburg und Petra Roth (72) aus Frankfurt sowie als Nesthäkchen Ex-Sozialsenator Mario Czaja (41) wird auf der Bühne die Frage erörtert, wie die CDU wieder großstadttauglich werden könnte.

Über allem wabert jedoch der Skandal in Steglitz-Zehlendorf. Und so eröffnet Kulturstaatsministerin Monika Grütters, seit Dezember Berliner Landesvorsitzende der Christdemokraten, den Abend mit einem Ordnungsruf. »Manche wünschen sich ein Machtwort, das will ich auch gerne zu verstehen geben«, setzt Grütters an. Eine »gute Nachricht« nennt sie es, dass es keine formellen Unregelmäßigkeiten im Nominierungsverfahren im mitgliederstärksten Südwestbezirk der Partei gegeben habe. »Die schlechte Nachricht: Wir haben es mit miesen Intrigen zu tun«, fährt sie fort. Das ganze sei und bleibe aber »eine Kreisverbands-Angelegenheit, die unappetitlich und sehr, sehr hässlich ist«. Der Landesverband fordere den Kreisverband »nachdrücklich« auf, »den Sachverhalt tatsächlich rückhaltlos aufzuklären«. Der zuständige Kreisverband werde »sicher zeitnah« entscheiden, ob ein Parteiordnungsverfahren einzuleiten ist. »Die Verantwortlichen sollten sich schämen, statt auch noch Interviews zu geben«, sagt Grütters.

Die Stimmung auf der Veranstaltung ist gedrückt. Kurz vor Beginn bittet eine Parteifreundin eine andere: »Sagen Sie das bitte nicht so laut, dass ich aus Steglitz-Zehlendorf bin. Das ist mir peinlich.« Ein anderer sagt: »Wenn kein Wunder geschieht, kandidieren am Sonntag beide um den Wahlkreis. Das hätte man schon vor fünf Wochen nicht so weiterlaufen lassen dürfen«, findet er.

Die Forderung von Monika Grütters, als Beitrag zu Vielfalt in der Partei auch mehr Frauen den Weg nach oben zu ermöglichen, greift Mario Czaja auf. »Vielleicht wäre das ein Beitrag, um mehr Friedlichkeit in Steglitz-Zehlendorf zu unterstützen«, meint der ehemalige Sozialsenator.

Doch es wird auch zum eigentlichen Anlass gesprochen. Grütters lobt Petra Roth als Wegbereiterin für Schwarz-Grün, Eberhard Diepgen für seine Politik des sozialen Ausgleichs. »Es gibt niemanden, der sich so erfolgreich mit Rechtspopulisten auseinandergesetzt hat wie Ole von Beust«, so würdigt die Berliner CDU-Landesvorsitzende die Leistungen des ehemaligen Ersten Bürgermeisters der Hansestadt. Eine interessante Sicht, schließlich koalierten Christ- und Freidemokraten 2001 zusammen mit der »Partei Rechtsstaatliche Offensive« des ehemaligen Richters Ronald Schill, die schließlich in einem beispiellosen Skandalgeflecht endete.

»Verbindliche Regeln und faire Härte« seien ein erfolgversprechender Ansatz, um den Zusammenhalt zu stärken, so Grütters. »Vielfalt braucht Bürgerlichkeit«, so ihr Credo. Mangelnde soziale Balance macht Diepgen für schlechte Wahlergebnisse der CDU verantwortlich und fordert eine Wohneigentumsförderpolitik als Symbolthema ein. So sieht Bürgernähe anscheinend aus Zehlendorfer Perspektive aus.

Am Sonntagnachmittag haben die CDU-Mitglieder im Südwesten aller Voraussicht nach die Wahl, ob nun Thomas Heilmann oder Karl-Georg Wellmann für die CDU als Direktkandidat antreten wird. Verlieren könnten letztlich beide: Die Sorge geht um, dass der Wahlkreis nach zwölf Jahren an eine andere Partei gehen könnte. »Der Nachmittag wird vergnügungssteuerpflichtig«, sagt ein Christdemokrat mit Galgenhumor.

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