Der russische Bär wacht auf
Ein außergewöhnlich milder Winter in Russland lässt die Tierwelt zeitig aktiv werden
In Moskau wartet man auf den »Knall« aus der Bärenhöhle. Denn der russische Bär wacht allmählich auf. Rosa und Budur drehen sich immer wieder von einer Seite auf die andere. Sie leben wie Aladdin im Zoo der russischen Hauptstadt. Und Aladdin scheint schon aufgewacht zu sein. Noch haben die drei ihre Winterhöhlen nicht verlassen, bald wird es aber so weit sein. Die Pfleger haben die Ausgänge aus der winterlichen Behausung in das Freiluftgehege in weiser Voraussicht bereits geöffnet.
Das endgültige Erwachen aus dem Winterschlaf wird vom Bären unüberhörbar signalisiert. Ein holzartiger »Pfropfen« aus Haaren von der Tatze, an der er im Schlaf dauernd kaut, und Reste des Mageninhalts verschließen den Verdauungstrakt in der Winterzeit. Nun fliegt er geräuschvoll heraus. Danach setzt der normale sommerliche Stoffwechsel ein.
Schuld an dem zu frühen Erwachen der Bären aus dem Winterschlaf ist das ungewöhnlich warme Wetter. Die Temperaturen liegen seit Wochen über Null. Plus zehn Grad Celsius sind bereits erreicht worden. Eigentlich herrscht seit Mitte Februar Aprilwetter in Mittelrussland. Der vergangene Winter war frostig, aber kurz. Im Zoo nimmt der Mensch den Tieren die Sorge um Klimaänderungen ab. In freier Wildbahn müssen sie aber selbst zusehen, wie sie damit zurechtkommen.
Deshalb machen die ersten Zugvögel aus wärmeren asiatischen Regionen oft nicht jenseits der Moskauer Stadtgrenze, sondern im Zoo Station. Futter gibt es dort für alle. Passkontrollen kennt man nicht. Das Stadtgebiet ist vor einigen Jahren in südwestlicher Richtung ausgedehnt worden. Als Folge finden sich im »neuen« Moskau in kleinen Flüssen Biber und im Wald Füchse.
In den letzten 125 Jahren ist die Jahresdurchschnittstemperatur von 3 auf 5,5 Grad Celsius gestiegen. Mancherorts gefriert der Boden im Winter nicht tief genug oder gar nicht. Deshalb haben sich besonders in den letzten 20 bis 30 Jahren Insekten stark vermehrt, darunter solche, die früher in Mittelrussland so gut wie unbekannt waren. Erdgas hat die Ofenheizung nahezu vollständig verdrängt. Einst war Brennholz begehrt. Dorfbewohner ließen sich gern für die Forstsäuberung anheuern. Minderwertiges Holz verbrannte im Ofen. Heute stößt man im Wald überall auf umgekippte faulende Bäume. Wertvolle Nadelhölzer werden zunehmend von Schädlingen befallen. Winzige sibirische Stechmücken, die Moschka, siedelten aus der Taiga nach Moskau über. Sie beißen aus der Haut Stücke heraus, die fast so groß sind, wie sie selbst. Auf den Einstichstellen bilden sich schmerzhafte Beulen, die mitunter wochenlang eitern können.
Noch schlimmer sind Zecken, die gefährliche Krankheiten wie Hirnhautentzündung, Borreliose und die Lyme-Krankheit von Tier zu Tier und von Tier zu Mensch übertragen. Seit Jahresanfang brauchten landesweit bereits 31 000 Menschen ärztliche Hilfe wegen der Zeckenbisse. Das ist viermal mehr als im Frühjahr 2016. Es gab bereits drei Fälle von Hirnhautentzündung, davon einen in St. Petersburg. Neun Fälle von Lyme-Borreliose wurden aus den Gebieten Kaluga, Moskau, Pensa und Kaliningrad gemeldet. Auch bei Spaziergängen in Moskauer Parks wird vor Zecken gewarnt. Wenn es ganz dumm kommt, kann man sie auf einem Blumenstrauß nach Hause mitbringen.
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