Die SPD glaubt an ihren König

Rekordergebnis bei Wahl zum Parteichef / 100 Prozent der gültigen Stimmen für Martin Schulz

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Mit hundertprozentiger Unterstützung der SPD zieht Martin Schulz in den Bundestagswahlkampf gegen Kanzlerin Angela Merkel. Der 61-Jährige wurde am Sonntag auf einem Parteitag in Berlin einstimmig zum Nachfolger von Sigmar Gabriel als Parteichef und zum Kanzlerkandidaten gewählt. »Ich glaube, dass dieses Ergebnis der Auftakt zur Eroberung des Kanzleramtes ist«, sagte Schulz.

100 Prozent der Stimmen hat in der Nachkriegszeit noch nie ein Parteivorsitzender der SPD erhalten. Bisher war Kurt Schumacher mit 99,71 Prozent im Jahr 1948 Rekordhalter. Alle 605 gültigen Stimmen wurden für Schulz abgegeben – drei Stimmen waren ungültig abgegeben worden. Merkel war im Dezember mit nur 89,5 Prozent als CDU-Vorsitzende wiedergewählt worden.

Schulz will mit den Leitmotiven Gerechtigkeit, Respekt und Würde das Kanzleramt erobern. In seiner kämpferischen Bewerbungsrede versprach er den Delegierten mehr Lohngerechtigkeit, gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Studium, aber auch ein hartes Vorgehen gegen Alltagskriminalität.

In seiner 75-minütigen Rede bekräftigte Schulz den Anspruch der SPD, als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl am 24. September hervorzugehen, äußerte sich aber nicht zu Koalitionsoptionen. Die politischen Gegner rief er zu einer fairen Auseinandersetzung auf: »Mit mir wird es keine Herabwürdigung des politischen Wettbewerbs geben. Wenn andere einen anderen Weg wählen, wird es am Ende die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler sein, darüber ein Urteil zu fällen.«

Das Wahlprogramm will die SPD erst im Juni beschließen. Details verriet Schulz noch nicht. Er verzichtete darauf, neue inhaltliche Akzente zu setzen. Die von ihm angekündigten Korrekturen an der Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder verteidigte er aber. Es gehe ihm dabei nicht um »Vergangenheitsbewältigung«, sondern um Weiterqualifizierung als Antwort auf den dramatischen Fachkräftemangel. Schröder blieb dem Parteitag wegen einer Auslandsreise fern.

Vor den von der Union in Aussicht gestellten Steuersenkungen warnte Schulz. Sie würden den Staat 35 Milliarden Euro kosten. »Das ist das Wahlgeschenk-Programm der CDU/CSU und das sind Milliarden, die für wichtige Zukunftsinvestitionen fehlen würden.« Die Pläne der Union seien ein »alter Wahlkampfschlager«, ungerecht und unvernünftig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwähnte Schulz in seiner Rede nicht ein einziges Mal.

Er wandte sich aber mit scharfen Worten gegen Rechtspopulisten. Die AfD bezeichnete er als »Schande für die Bundesrepublik«. Auch US-Präsident Donald Trump warf er vor, das »Rad der Freiheit« zurückzudrehen. »Wer die freie Berichterstattung als Lügenpresse bezeichnet, wer selektiv mit den Medien umgeht, legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie - ob er Präsident der Vereinigten Staaten ist oder ob er in einer Pegida-Demonstration mitläuft.«

Schulz bekannte sich klar zu Europa: »Mit mir wird es kein Europa-Bashing, kein Schlechtreden Europas geben.« Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warnte er davor, mit Nazi- Vergleichen Menschen in Deutschland gegeneinander aufzuhetzen.

Gabriel hatte Ende Januar zugunsten von Schulz auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet und wechselte vom Wirtschafts- ins Außenministerium. Die Nominierung von Schulz hatte der SPD ein beispielloses Hoch in den Umfragen beschert. Jetzt liefert sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union.

Gabriel verabschiedete sich von den Delegierten mit Wehmut, aber auch mit Zuversicht. »Es dürfte der fröhlichste und optimistische Übergang zu einem neuen Parteivorsitz sein, den unsere Partei so in den letzten Jahrzehnten erlebt hat«, sagte der 57-Jährige. Er sprach sich klar gegen eine Fortsetzung der großen Koalition nach der Bundestagswahl aus. »Jetzt wollen die Menschen einen neuen Aufbruch.«

Nur mit einem Wechsel zu Schulz an der Parteispitze sei dieser Aufbruch glaubwürdig zu vollziehen. »Ich glaube, dass ich mit dieser Entscheidung und diesem Vorschlag der SPD am besten diene«, sagte Gabriel. »Alle Vorsitzenden der SPD haben zuallererst für die Partei und nicht zuallererst für sich gearbeitet.«

Schulz sagte, Gabriel werde im Wahlkampf eine wichtige Rolle für die Partei spielen. Dass der Vizekanzler seinen Ehrgeiz zurückgestellt und ihm Parteivorsitz und Kanzlerkandidat überlasse, »ist eine große menschliche Leistung«. »Dich weiter an meiner Seite zu wissen, macht mich, macht uns, macht die SPD stark.« dpa/nd

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