Angst essen Studentenseele auf

Jürgen Amendt über die Folgen der Bologna-Reform

  • Lesedauer: 2 Min.

Mit dem Namen Bologna verbindet sich seit gut 20 Jahren mehr als nur der Gedanke an eine alte Universitätsstadt, an die italienische Renaissance oder vielleicht noch an eine typisch italienische Nudelsoße. Bologna steht auch für eine der nachhaltigsten Reformen des Bildungswesens der vergangenen Jahrzehnte. 1999 unterzeichneten in der Stadt 29 europäische Bildungsminister eine politisch-programmatische Erklärung zur europaweiten Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen. Ziel war es, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen und die räumliche wie intellektuelle Mobilität von Studierenden zu erhöhen.

In Deutschland war die Reform von Anfang an umstritten. Die neu eingeführten Studienabschlüsse Bachelor und Master ersetzten die alten Abschlüsse Diplom und Magister, schränkten aber auch die Freiheit bei der Wahl der Studieninhalte stark ein. Die Verteidiger der Reform verwiesen darauf, dass schon der nach drei Jahren erworbene Bachelor ein berufsqualifizierender Abschluss sei, was vor allem für Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler die Chancen für einen Berufseinstieg erhöhe.

Das Argument war nicht unbegründet, denn vielfach half diplomierten Soziologen, Politologen oder Ethnologen der akademische Grad nicht wirklich beim Broterwerb. Die Bologna-Reform hat allerdings nicht das gehalten, was die Bildungsminister 1999 bei der Unterzeichnung sich, uns und den künftigen Studentengenerationen versprochen haben. Der Bachelor zum Beispiel ist keinesfalls in allen Studiengängen der »erste berufsqualifizierende Abschluss«, wie er offiziell immer noch genannt wird. Wer zum Beispiel Lehrer werden will, kann mit diesem niedrigsten der akademischen Grade beruflich herzlich wenig anfangen.

Das größte Problem an der Reform ist aber, dass die Studienreform zu einem Anpassungsdruck an den Unis geführt hat. Während früher Zeit fürs Ausprobieren war, für Fehler und Irrungen, die auch junge Erwachsene machen müssen, um Erfahrungen fürs Leben zu sammeln, haben Studenten heute einen engen Terminplan, hetzen von Vorlesung zu Vorlesung und verspüren dabei immer die Warnung im Nacken, dass ein Scheitern Versagen bedeutet. Noch nach dem Studium absolvieren sie unbezahlte Praktika, immer in der Hoffnung, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Selbst im neoliberalen Sinn, der auf Selbstoptimierung schwört, kann dies alles andere als produktiv sein.

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