»Nur noch bisschen Nazi«

Neues von Heiko Werning

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Berliner Wedding, der lange als »Arbeiterbezirk« galt, gehört seit je zu jenen als eher unansehnlich betrachteten Teilen der sogenannten Hauptstadt, die nicht stündlich stolz in den Medien herumgezeigt werden: Hier gibt es keine Reichstagskuppel, keine »Paris-Bar« und auch keine Edelcafés, die nur aus Chrom, Stahl und Glas zu bestehen scheinen und in denen der Cappuccino 6,80 Euro kostet.

Und auch ob nun der seinen teuren Kaschmirschal und seine schnittige Fönfrisur zur Schau stellende Chris Dercon Intendant der Volksbühne wird oder Mario Barth, interessiert hier traditionell kaum jemanden. Hier interessiert man sich mehr für Hertha. Oder für Bier. Hier sind eher die schön vor sich hin verrottende 70er-Jahre-Bausünde, die Schultheiss-Eckkneipe, die Döner-Bude und der »Balkan-Grill« zuhause. Und natürlich der Schriftsteller und Reptilienforscher Heiko Werning.

Werning, der zwei Berliner Lesebühnen angehört und regelmäßig für die »Taz« und das Satiremagazin »Titanic« schreibt, legt mit seiner neuen Geschichtensammlung »Vom Wedding verweht« bereits sein fünftes schönes Buch voller Storys über den noch immer verrufenen Berliner Bezirk vor. Und wie schon in den zuvor erschienenen Bänden versucht Werning auch in seinen neuen Geschichten und Alltagsbeobachtungen wieder nachzuweisen, dass die Gegend sich zu Unrecht mit ihrem Ruf als gefährliches Pflaster herumschlagen muss. »Karl« etwa, der eher misslaunige und unwirsche Döner-Kebap-Verkäufer, der in einer der zahlreichen Weddinger Kebap-Imbissbuden seine Nachtschichten verrichtet, ist früher mal ein brutaler Nazi gewesen, aber zumindest gegenwärtig scheint es in dieser Sache Entwarnung zu geben, wie Karls türkischstämmiger Kollege erklärt: »Ist nicht mehr so krasser Nazi, ist jetzt nur noch bisschen Nazi. War früher mal richtig Nazi, aber dann war Knast, und jetzt ist er nur noch bisschen Nazi.«

Werning, gebürtiger Westfale, allerdings bereits seit Jahrzehnten im Wedding ansässig, ist bereits seit vielen Jahren der inoffizielle Chronist des Stadtteils Wedding. Und seine Abenteuer und Schnurren haben den Vorzug, dass sie ausnehmend komisch erzählt sind. Wir müssen dankbar sein dafür, dass er noch nicht mit irgendeinem Literaturpreis entehrt wurde. Wie sagte der Kabarettist Bernd Gieseking einmal so treffend? »Heiko Werning schreibt wie Hemingway, nur witzig.«

Heiko Werning: »Vom Wedding verweht«, Buchpremieren-Gala mit zahlreichen Gästen, 25.3., 20.30 Uhr, im Restaurant »La Luz«, Wedding

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