Apokalyptische Prophezeiungen

»Maerzmusik« - Festival für Zeitfragen mit dem Strasbourger Schlagzeugensemble und dem Sonar Quartett

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Maerzmusik«, veranstaltet von der Berliner Festspiele GmbH, sie ging am Sonntag zu Ende, gehört neben »Ultraschall« zu den 2 jährlich in Berlin stattfindenden Festivals für Neue Musik. Beide Angebote unterscheiden sich gravierend voneinander. Ihr Musikbegriff allein liegt weit auseinander. Ultraschall bevorzugt die komponierte neue Musik, gleichzeitig solche aus früherer Zeit, und sucht ein Tradition-Gegenwart-Gefüge erlebbar zu machen. Maerzmusik, ganz und gar dem neoliberalen Klangzeitalter ergeben, geht hingegen ultimativ auf Gegenwart, spart aber ältere Musik nicht ganz aus. Ihr Untertitel »Festival für Zeitfragen« ist zwar gut gedacht, aber jene die Menschen außerhalb von Musik beschäftigenden Fragen bleiben ausgespart oder stellen sich lediglich zufällig. Also ein Fragen weitgehend im eigenen Saft. Wie sagte Hanns Eisler einmal? Wer Musik als lediglich für sich stehend versteht, versteht auch von dieser nichts.

Neben Musik veranstaltet Maerzmusik auch Installationen, Gespräche, Workshops, Konferenzen, Diskursformate, Filmvorführungen, Ausstellungen. Zum dritten Mal kam als Finalprodukt »The Long Now«, über 30-stündiges Format aus Asche und Fegefeuer, veranstaltet vor monumentaler Kulisse des Kraftwerks Berlin. Eine Art Identitätsnachweis des Festivals. »The Long Now« sei »ein Ort der andauernden Gegenwart«, so der Begleittext, »ein Raum, in dem sich die Zeit selber entfalten und das Zeitgefühl sich verlieren kann«. Natürlich ist das ein Steinwurf gegen die Musik, die noch wohl bedachte Takte, Metren, Formen, Stimmen, Instrumente hat, und mithin Schlag gegen die Kraft des Werkes. Im Kraftwerk wurden diesmal wieder Betten aufgestellt, ist zu hören gewesen, damit der Rundumschlag auch rund um die Uhr als »körperliche und künstlerische Grenzerfahrung« erlebbar werde. In »The Long Now« darf sich die Inhaltsleere restlos austoben. 600 Jahre Musikgeschichte scheinen ausgelöscht.

Über Ausnahmen ist zu reden. Die Akademie der Künste am Hanseatenweg bot dem unterdes renommierten Sonar Quartett erneut Gelegenheit, seine Konzertserie unter der Überschrift »Utopie Streichquartett« fortzusetzen. Zu Gehör kamen in zwei Konzerten ältere und neue Werke. Das erste sei kurz angetippt. Das Ensemble spielte Wolfgang Rihms 8. Streichquartett und Helmut Lachenmanns »Gran Torso«. Beide Stücke entstanden um 1970. Gut, dass sie überhaupt wieder erklangen. 1970 war die umstürzlerische westliche Avantgarde-Zeit in vollem Gange (die im Osten kam etwas später). Komponiert wurde häufig genug wider den Werk-Begriff und die »Natürlichkeit« der Instrumente. Modernität in den Mitteln war gefragt. Bisweilen um jeden Preis. Heute hören sich solche Arbeiten bisweilen komisch an, denn diese Moderne ist gealtert. Theodor W. Adorno beschrieb das Phänomen in seinem keineswegs gealterten Aufsatz »Vom Alter der neuen Musik«. Bei Rihm müssen die Spieler Notenblätter schütteln und zerknüllen oder mit dem Bogen über das Papier streichen, es beklopfen usw. Das 8. Quartett (es existieren unterdes 13) reiht Abschnitte: Schruppgeräuschflächen, Pizzicato-Felder, Flageoletts wechseln mit Übergängen von Vibrato zu senza vibrato, an - und abschwellende Tönen, lange Pausen ab. So geht das 20 Minuten. Schwer zu ertragen. Konsequenter macht das Lachenmann. Sein Stück betreibt geradezu einen Kult, statt Töne Geräusche an der Peripherie der Tonerzeugung entstehen zu lassen. Beiden Stücken haftet jener Alterungsprozess durchaus an.

Weiterer Ort, die Parochialkirche in der Klosterstraße. Restlos gefüllt der Kirchenraum. Die Leute saßen in der Mitte. Ringsum sechs, in Bühnenrahmen gefasste, illuminierte Schlagbatterien. Les Percussions de Strasbourg spielten Gérards Griseys »Le Noir de I’Etolie« für Schlagzeuger, alle jung, komponiert 1989/90. Unerhörte Musik, nie sonst gehört. Grisey katapultierte hier alles rein, was geräuscherzeugendes Schlagzeug hergibt. Jede Batterie ist etwa gleich besetzt. Große Trommeln, Rührtrommel, Holzblöcke, Bongos, Becken, Gongs, Hi-Hat etc., betätigt mit Hand, Finger, Schlegel, Geigenbogen, keine melodieerzeugenden Instrumente dabei. Sogenannte Pulsare, die »Taktgeber der Raumzeit«, bilden das klanglich-poetische Ausgangsmaterial dieser weit ausgreifenden Raumkomposition. Staffelförmig jagen durchs das Rund Ereignisse wie Holblock-Prasseln, Echos, Responsorien, diverse harte, sich überlagernde, überfallartige Rhythmen. Gleichlaufendes und extrem Auseinanderlaufendes schenken sich nichts. Übrig bleibt am Schluss eine Messingschale in der Raummitte. Sie dreht und klingt. Kosmogonisches klingt an. Chaos, Katastrophe. Vernehmlich, so schien es, die apokalyptischen Prophezeiungen des Johannesevangeliums. Ein irres Werk.

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