Wie lebt's sich mit der Legende?

Amaya Ruiz Ibárruri über »La Pasionaria«, ihre Mutter Dolores Ibárruri

  • Lesedauer: 4 Min.
Vor 70 Jahren begann die Schlacht am Jarama, Franco startete einen erneuten Angriff auf Madrid. Die spanische Kommunistin und Parlamentspräsidentin Dolores Ibárruri ermutigte und beflügelte mit ihrer Losung »No pasarán« (Sie werden nicht durchkommen) die Verteidiger der Volksfrontrepublik. Wenn AMAYA RUIZ IBÁRRURI, Jg. 1923, über ihre Mutter spricht, wird auch sie leidenschaftlich. Die Tochter der legendären »La Pasionaria« lebt mit Tochter und Enkelin Dolores in Madrid; einmal im Jahr fährt sie nach Russland, wo ihre beiden Söhne leben und arbeiten. Mit Amaya Ruiz Ibárruri sprach KARLEN VESPER, dank der Hilfe des Übersetzers CLAUDIO SPERANDIO.
ND: Wie lebt es sich als Tochter einer Legende? Wird man nicht erdrückt von einer solch starken Persönlichkeit, wie es Ihre Mutter war?
Amaya Ruiz Ibárruri: Ich bin sehr stolz auf meine Mutter. Es stimmt, sie war eine sehr starke Persönlichkeit, eine große Kämpferin. »Lieber stehend sterben als auf Knien leben«, war ihr Motto. Und außerdem war meine Mutter eine wunderschöne Frau.

Sie sehen ihr ähnlich.
Nein, nein, nein. Meine Mutter war Aufsehen erregend schön, hoch gewachsen, hatte Ausstrahlung. Sie war klug und temperamentvoll, konnte die Menschen begeistern, die Menschen liebten sie und sagten immer: »Eine Dolores kann man nicht noch einmal erschaffen.« Sie war La Pasionaria ...

Was die Leidenschaftliche heißt. Und zugleich Passionsblume.
Das war ihr Pseudonym, als sie in den 20er Jahren Artikel für die Bergarbeiterzeitung »El Minero Vizcaíno« (Der Grubenarbeiter von Biscaya) schrieb.

Sie wurde 1942 im Moskauer Exil Generalsekretärin der KP Spaniens und blieb bis zu ihrem Tod 1989 Parteivorsitzende. Sie war von ganz anderem Format als heutige Politiker und Funktionäre.
Weil sie aus dem einfachen Volk kam und dies nie vergaß. Ihr Vater war Bergarbeiter, sie war Antonios achtes Kind. Sie ist in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Aber sie war eine sehr eifrige Schülerin, die Lieblingsschülerin ihrer Lehrerin. Ihre Mutter, eine einfache Frau, hat sie jedoch von der Schule genommen, obwohl sie so wissbegierig war und auch gern studiert hätte. »Du hast genug gelernt, du gehst jetzt dienen«, sagte die Mutter, die selbst in den Häusern der Reichen für ein karges Brot diente. Meine Mutter hatte aber weiterhin auf Schritt und Tritt ein Buch unterm Arm, kein Titel in der Bibliothek des Volkshauses blieb von ihr ungelesen. Sie hat früh, mit 20, geheiratet: Julián Ruiz, auch Bergarbeiter, Analphabet, aber ein Rebell und deshalb oft im Gefängnis. Sie lebten in einem kleinen Häuschen in Somorrostro, in der Gegend von Bilbao, Biscaya, ohne Strom, ohne jeglichen Komfort. Manchmal hatte mein Vater Arbeit, manchmal keine. In der Biscaya regnet es sehr häufig und dann sind die Minen überschwemmt. Gerade dieses schwere Leben gab meiner Mutter die Kraft zum Widerstand. An der Seite meines Vaters hat sie sich politisch entwickelt, las Marx und Engels, ist in die Partei eingetreten und wurde eine große Agitatorin. Die Genossen holten sie dann nach Madrid.

Auch Ihre Mutter war oft inhaftiert. Hatten Sie da Angst um sie?
Da war ich noch sehr klein. Ich bin aber mitgegangen in die Gefängnisse, um sie zu besuchen. Und sie war es, die uns tröstete und Mut machte, nicht umgekehrt.

Warum trug sie nur schwarz? Aus dem Grund, aus dem sie sich Dolores, Schmerzensreiche, nannte? Eigentlich hieß sie ja Isidora.
Sie ging nur noch in Schwarz, seit ihre Eltern gestorben sind. Und es starben vier meiner Geschwister im Kindesalter. Es war für sie furchtbar, jeden Tag, wenn sie meinem Vater das Essen in die Grube brachte, am kleinen Friedhof vorbeizukommen, wo ihre erste Tochter Esther, meine Drillingsschwestern Amagoya und Azucena und später auch Eva beerdigt waren. Sie hat viel Schmerz ertragen müssen. Mein Bruder Rubén fiel als Rotarmist in der Schlacht um Stalingrad 1942. Nach Francos blutigem Sieg hatten wir ins Exil gehen müssen. Wir lebten in Frankreich, Rumänien und in der Sowjetunion. Erst Ende der 70er Jahre konnten Emigranten zurückkehren.

Was war das Geheimnis der mitreißenden Reden Ihrer Mutter?
Oh ja, ihre Reden. Sie waren nie kürzer als eine Stunde, und dabei hat sie sich nicht ein einziges Mal wiederholt. Sie hatte eine kraftvolle, bildreiche, volkstümliche Sprache. Es gelang ihr, die Menschen emotional aufzuwühlen. Die Frauen haben geweint, die Männer wurden bestärkt. Sie hat mit ihren Reden die Menschen vereinigt. Sie war eine Integrationsfigur.

Und im heutigen Spanien?
Ebenso. Auch in der Zeit der Franco-Diktatur war sie nie vergessen. Dolores vive en nosotros. Sie lebt in uns allen. Nicht nur in meiner und meiner Kinder Erinnerung. Ich werde oft gerufen, wenn Straßen oder Schulen nach ihr benannt werden. Ich erzähle aus ihrem Leben und von dem, was sich mit ihrem Namen verbindet, vom Freiheitskampf des spanischen Volkes und über die uns damals zur Seite stehenden Interbrigadisten. Das ist jetzt meine wichtigste Aufgabe. Und ich erfülle sie gern. Darf ich das deutsche Volk grüßen?

Ja, bitte.
Saludo carinoso al pueblo aleman!

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