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Verfluchte Autos und Bananen

Der Extraktivismus von Mineralien und Agrarprodukten befeuert den Klimawandel im globalen Süden, kritisiert Alberto Acosta den »imperialen Lebensstil« des reichen Nordens

  • Lesedauer: 5 Min.

Die Überschwemmungen in den Ländern an der Pazifikküste Südamerikas sind eine Katastrophe: ganz besonders Peru und Kolumbien aber auch Ecuador sind von Verzweiflung, Zerstörung und vielen Toten getroffen, verursacht von immer stärker werdenden Regenfällen und Erdrutschen. Seltsamerweise ist es noch gar nicht so lange her, genauer gesagt ein halbes Jahr, dass diese Weltregion genau das Gegenteil durchlebt hat: Dürre! Peru, Bolivien, Argentinien, Kolumbien und Ecuador fehlte es an Wasser, und auch hier waren die Folgen schwerwiegend.

Die Schere der Wasserkrise veranlasste Peru und Bolivien den »nationalen Notstand« auszurufen und auch in Chile schlägt die Wasserknappheit immer mehr zu. Boliviens Präsident Evo Morales rief die Bevölkerung auf, sich »auf das Schlimmste vorzubereiten«, nachdem wegen der schlimmsten Wassernot und Dürre seit 25 Jahren das lebenswichtige Nass rationiert werden musste. Sein Fazit war zu Recht, dass »der Klimawandel nicht nur in Bolivien, sondern der ganzen Welt zu einem Problem wird«.

Tatsächlich hat der Planet einen großen Teil seiner Resilienz, seiner Widerstandskraft verloren, genau das nämlich zeigen die immer häufiger werdenden Extremwetterereignisse, die nicht nur immer stärker werden, sondern auch regelmäßiger auftreten. Vor allem die Ärmsten der Armen dieser Erde sind vom Extremklima betroffen.

Zum einen haben wir die globale Erwärmung. Zum anderen gibt es regionale Phänomene wie El Niño, die durch den globalen Klimawandel häufiger und intensiver werden. Aber es gibt Einflussfaktoren, die viel lokaler und dennoch von globaler Bedeutung sind, wobei ich den Extraktivismus hervorheben möchte.

Wenn wir vom Extraktivismus reden, dann beziehen wir uns immer auf Aktivitäten, die zumeist in intensiver Art und Weise große Mengen an natürlichen und unverarbeiteten Ressourcen abziehen, um durch Export die Nachfrage in den kapitalistischen Ländern des Zentrums zu bedienen. Dafür werden meistens große Investitionssummen benötigt. Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Herkunftsländer sind meistens von großer Bedeutung, genauso wie die sozialen, ökologischen und kulturellen Folgen in den betroffenen Gebieten. Dabei ist der Extraktivismus nicht auf die Erdöl-Förderung oder auf den Abbau mineralischer Rohstoffe beschränkt. Wir kennen auch Agar-Extraktivismus, Forst-Extraktivismus, Fischerei-Extraktivismus und Tourismus-Extraktivismus.

Zusammen mit dem Marx´schen Konzept von der »ursprünglichen Akkumulation« lassen sich die Ausbeutung der Natur, Akkumulation, Konzentration, koloniale und neokoloniale Verwüstung sowie der Ursprung des modernen Kapitalismus mit dem Konzept vom »Extraktivismus« erklären. Zusammen mit dem Konzept der »Landnahme« (Rosa Luxemburg) und der »Akkumulation durch Enteignung« (David Harvey) hilft uns der »Extraktivismus« nicht nur die Entwicklung des zeitgenössischen Kapitalismus zu verstehen. Erklären lassen sich auch Begrifflichkeiten wie »Entwicklung« und »Unterentwicklung«, die zwei Gesichter des Expansionsprozesses des globalen kapitalistischen Systems. Was wir akzeptieren müssen ist die Tatsache, dass der globale Kapitalismus, indem er die natürlichen Grenzen überschreitet, der Haupttreiber der geomorphologischen Weltveränderung ist.

Auch wenn der Extraktivismus über 500 Jahre alt ist, haben weder die Conquista noch die Kolonisierung die europäische Vorherrschaft in Lateinamerika zu Ende gebracht. Diese Prozesse sind bis heute in der gesamten Region an der Tagesordnung, sei es in den Ländern mit neoliberalen oder »progressiven« Regierungen. Konkret zu nennen ist die Abholzung durch das Vorrücken der Agrarfront, vor allem der Monokulturen, um die Exporte zu erhöhen. Die Folgen daraus sind nicht nur in dem so wichtigen Ökosystem Amazonas spürbar, sondern auch in anderen Zonen auf dem ganzen Kontinent. In Argentinien wurden 22 von 33 Millionen Hektar an verfügbarem Ackerland in Anbauflächen für genetisch verändertes Soja umgewandelt.

In Bolivien wurde die Anbaufläche für Soja über Abkommen mit dem Unternehmertum von drei auf neun Millionen Hektar erweitert. In einem Land, wo die einzige Form der Erweiterung die Abholzung ist. So wird weiter in den Amazonas vorgerückt, ähnlich wie in Brasilien. In Ecuador wurde beim Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, der Anbau von Bananen vorangetrieben, auf riesigen Flächen in der Hand privater Großgrundbesitzer. Die Wasserkrisen spiegeln sich in den Zeiten schwerer Überschwemmungen wieder oder in der Wasserknappheit für die Landwirtschaft, die die eigene Bevölkerung ernährt. Auch das »Ewige Eis« der Andengletscher verschwindet rasant, ebenso andere wichtige Wasserquelle, wie immer mehr Seen (Popoó-See in Bolivien) und Flüsse. Dazu kommt, dass immer mehr Agrarland statt für die Ernährung von Menschen für Biokraftstoffe zum Antrieb von Autos genutzt wird, sei es in Brasilien, Kolumbien oder Ecuador. All das verursacht einen wachsenden Schwund von Artenvielfalt in Flora und Fauna.

Trotz alldem setzen die Regierungen der Region weiter auf Rohstoff-Ausbeutung. Die Politik zur Förderung des Extraktivismus betreffen sogar Schutzgebiete, in den Territorien indigener Bevölkerungen wird sie, ohne die Berücksichtigung von Mindeststandards für Vorab-Konsultationen, brutal durchgesetzt. Und verschärft die Lage von »Klimageflüchteten«, die es in Südamerika infolge extremer Umweltereignisse auf lokaler Ebene schon seit Jahren gibt. Worauf ich hier ganz deutlich hinweisen möchte: Zwischen den beschriebenen Extraktivismus-Folgen und dem »imperialen Lebensstil« (Ulrich Brand/Markus Wissen) gibt es einen engen Zusammenhang. Um ganz konkret zu fragen: Wieviel von all dieser Zerstörung lassen sich direkt auf die Autos zurückführen? Nicht nur wegen ihres CO2-Ausstoßes, der schlecht fürs Klima ist. Auch wegen der wachsenden Nachfrage nach Mineralien und Metallen zur Automobilproduktion jeder Art, der wachsenden Nachfrage nach Erdöl, der wachsenden Nachfrage nach Bio-Treibstoffen.

Damit kommen wir zu einer weiteren Folge von Klimawandel und Umweltzerstörung, nämlich die extreme soziale und ökologische Ungerechtigkeit. Teile der reichen Weltbevölkerung haben die Probleme verursacht und sind die Gewinner. Während der arme Großteil der Welt an den Folgen leiden muss. Die Reichen haben bei den Armen der Erde eine immense soziale und ökologische Schuld angehäuft. Es muss dringend darüber nachgedacht werden, wie diese Schuld beglichen werden kann, weil die ökologischen Probleme das Leben der Menschen auf der Erde zunehmend unmöglich machen.

Übersetzung: Benjamin Beutler

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