Und plötzlich waren’s vier

Thüringens rot-rot-grüne Regierung nimmt beim Plan zur umstrittenen Gebietsreform gravierende Korrekturen vor

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine große Überraschung: Nach monatelangen Diskussionen hat Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) eine überarbeitete Karte für den Neuzuschnitt der Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat vorgelegt - eine Karte, die sich vom ursprünglichen Entwurf der rot-rot-grünen Landesregierung in zentralen Punkten unterscheidet.

Zwar bemüht sich Poppenhäger am Mittwoch in Erfurt die Änderungen herunterzuspielen. Er könne nicht sehen, dass der neue Vorschlag so viel abweicht, sagt der Minister, als er immer wieder darauf angesprochen wird, wie weit dieser neue Entwurf von seinen bisherigen Plänen abweicht - und gefragt wird, woher die Änderungen kämen, ob er nicht doch politisch eingeknickt sei. Doch was Poppenhäger auch sagt: Wahrgenommen werden die von ihm vorgelegten Pläne zur in Thüringen geplanten Gebietsreform als gewaltige Änderungen. Und das am Kernprojekt des rot-rot-grünen Bündnisses im Freistaat.

Wie groß die Abweichungen sind, wird unter anderem am Süd- und Südwestthüringer Raum sowie am Beispiel der kreisfreien Städte deutlich. Im Süden war bislang geplant, die Landkreise Schmalkalden-Meiningen, Sonneberg und Hildburghausen mit der bislang kreisfreien Suhl zu fusionieren - jeweils als Ganzes, um das Zerschneiden bestehender Kreise zu vermeiden. So etwas, hatte der Minister erklärt, sei immer mit langwierigen auch rechtlichen Streitigkeiten um Vermögenswerte verbunden. Im Südwesten sollten der Wartburgkreis und die bis dato kreisfreie Stadt Eisenach verschmelzen; etwas, was die beiden Kommunen sich schon seit langer Zeit wünschen und wozu sie bereits viele konkrete Schritte unternommen haben.

Nun plant Minister Poppenhäger jedoch, Schmalkalden-Meiningen, Eisenach und den Wartburgkreis miteinander zu fusionieren - wobei aber die Gemeinden Oberhof, Benshausen und Zella-Mehlis aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen herausgelöst würden. Diese Gemeinden sollen Suhl zugeschlagen werden, das dann mit Sonneberg und Hildburghausen zusammengelegt werden soll.

In Sachen Kreisfreiheit von Städten hieß es bislang, mit Blick auf Größe und Leistungsfähigkeit sollten in Zukunft nur noch Erfurt und Jena diesen Status haben. Nach dem, was Poppenhäger nun vorgelegt hat, würden jedoch auch Gera und Weimar weiterhin kreisfrei bleiben. Und das obwohl der Innenminister und auch andere Vertreter von Rot-Rot-Grün immer erklärt hatten, Weimar sei mit seinen etwa 65 000 Einwohnern viel zu klein, um kreisfrei zu bleiben - eigentlich solle eine kreisfreie Stadt grundsätzlich mindestens 100 000 Einwohner haben. Und Gera mit seinen 96 000 Einwohnern, das seit Langem und regelmäßig Sonderzuschüsse in Höhe von mehreren Millionen Euro vom Land braucht, sei zu schwach, um die Kreisfreiheit zu behalten. Beide Städte, sagte Poppenhäger nun am Mittwoch, hätten sich Selbstverpflichtungen auferlegt und erklärt, sie würden das mit der Kreisfreiheit schon schaffen - was für den Minister offenbar ausreicht, um dem Verlangen der jeweiligen Lokalpolitiker nachzugeben, beide Städte kreisfrei zu halten.

Warum allerdings beispielsweise Gera in Zukunft ohne die Zuschüsse auskommen sollte, die es in der Vergangenheit so dringend gebraucht hat, erklärt an diesem Tag niemand. Was umso bezeichnender für diese Änderungen ist, da die Strukturschwäche von Gera - das nach der Wende viele Einwohner und Unternehmen verloren hat - immer wieder als ein gern gebrauchtes Argument für die Reform herhalten musste. Im Sinne von: Wir müssen an der Struktur dieser Kommune etwas ändern. Es bringt nichts, dort jedes Jahr Steuergeld zu versenken.

Dass Poppenhäger in Sachen Kreisfreiheit aufgrund des großen politischen Drucks auf ihn eingeknickt wäre, das will der Minister so nicht stehen lassen. Er habe, sagt er stattdessen, eben die Argumente aufgenommen, die im Zuge der Diskussionen über seinen ursprünglichen Vorschlag an ihn herangetragen worden seien. Massiver Widerstand kam insbesondere aus Weimar, das einen SPD-Oberbürgermeister hat.

Die Stimmen aus dem Thüringer Landtag - der letztlich über den Neuzuschnitt zu entscheiden hat - fallen entsprechend kritisch aus. Wenngleich zum Beispiel Vertreter der Grünen und der LINKEN im Parlament auch sagen: konstruktiv-kritisch. Der kommunalpolitische Sprecher der LINKE-Fraktion, Frank Kuschel, beispielsweise nennt den neuen Poppenhäger-Vorschlag »interessant und mutig«. Er berge ebenso Chancen wie Risiken - und werde deshalb sicher heftige Diskussionen im Parlament hervorrufen. Was wiederum niemand bestreiten kann.

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