Wo die Eichen trotzig ragen

Beim Wald hört der Spaß auf - Pläne für einen Nationalpark im Spessart spalten die Bürger in Unterfranken

  • Sophie Rohrmeier, Miltenberg
  • Lesedauer: 5 Min.

»Schlagt ihn tot, den Hund«, hätten sie auf einer Demo zu ihm hinübergerufen, erzählt Michael Kunkel. »Verrecken soll er, die Drecksau.« Kunkel ist bekannt, und er hat Angst. Wie es so weit hat kommen können - ihm ist das unerklärlich.

Seit 35 Jahren ist Kunkel beim Bund Naturschutz aktiv. Aber noch nie hat er etwas erlebt wie diesen Streit. Mehr als 16 000 Menschen haben die Listen unterzeichnet, die der Verein »Wir im Spessart« verteilte. Sie wehren sich gegen Kunkels Anliegen und gegen einen Vorschlag der CSU-geführten Landesregierung: einen Nationalpark im Spessart in Unterfranken.

Mahnfeuer in mehr als 20 Kommunen, Demos, Sticker, bedruckte Warnwesten - der Protest professionalisiert sich. Auch auf der Seite der Befürworter. Sie sind in der Mehrheit, wie eine Umfrage im Auftrag mehrerer Naturschutzverbände ergab. Die Aktivsten unter ihnen sammeln sich im Verein »Freunde des Spessarts«, unterstützt von Peter Wohlleben. Monatelang stand er auf der Bestsellerliste mit seinem Buch »Das geheime Leben der Bäume«. Sein Erfolg hat mit der Beziehung der Deutschen zu ihrem Wald zu tun, und sie erklärt auch den Streit im Spessart. Besser: seine Emotionalität.

Nationalparks sind gesetzlich geschützte, große Gebiete, in denen sich die Natur weitgehend ungestört entwickeln kann. Sie dienen dem Naturschutz und sollen nicht oder wenig vom Menschen beeinflusst sein. Die Bürger sollen dort über die Natur lernen, Wissenschaftler die Umwelt beobachten können. Außerdem stärkten, so argumentiert auch die bayerische Umweltministerin, solche Parks den Tourismus.

Aber Naturschützer wissen, dass schon viele Nationalparkpläne in Deutschland Widerstand hervorgerufen haben. Im Bayerischen Wald, im Nordschwarzwald, in der Elbtalaue. Wenn es um ihre Bäume geht, protestieren die Deutschen, nicht nur im Spessart. Seit jeher wird da über mehr verhandelt als nur Holz.

In den 1980ern trieb das Waldsterben Zehntausende auf die Straße, den Grünen half das in die Parlamente. Die Bäume spielen eine wichtige Rolle in der Literatur und Musik. Schon im 18. Jahrhundert gab es die Zuschreibung des »Waldvolks«, das seine Gegner aus dem Wald heraus erfolgreich bekämpft. Später galt die »Waldgemeinschaft« als Modell einer Gesellschaft in vermeintlich »artgemäßer« Vegetation, geprägt durch »Auslese« und ein »Recht des Stärkeren«. Die Nazis griffen darauf zurück, der Wald war ihnen Muster für die »Volksgemeinschaft«.

Da verwundert es nicht, dass der Spessart-Streit aufgeladen ist mit Werten von Gemeinschaft und Stärke, mit Wertungen von richtig und falsch. Wir kämpfen für die Buche, die »natürliche Vegetation«, sagen die Befürworter. Wir kämpfen für »unsere Eichen«, die von den Buchen ohne den Eingriff des Menschen verdrängt würden, sagen die Gegner, und singen auf der Demo das Spessart-Lied, zur Ziehharmonika: »Weißt du, wo die Eichen trotzig ragen.«

Naturschützer Kunkel (58), kariertes Hemd, Outdoorjacke, will auch auf dieser Demo im März in Miltenberg seine Gegner sehen. »Nationalpark Nein danke!«, steht auf den Plakaten. Beschimpfungen wie auf der letzten Demo fallen nicht. Trotzdem parkt Kunkel aus Vorsicht sein Auto abseits. »Ich bin zu verhasst«, sagt er. Die Hetze, sagt Kunkel, und der Vergleich falle ihm schwer, die Hetze sei so schlimm wie im Nationalsozialismus. Eine »Propaganda-Schlacht« betrieben die Gegner, »Wald-Taliban« und »Holznazis« seien sie, schreiben Befürworter im Netz. Das Spessartvolk, es ist gespalten.

Der Spessart gehört zu den größten zusammenhängenden Waldgebieten der Republik und erstreckt sich bis nach Hessen. Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Wälder mit Buchen, die älter sind als 180 Jahre, und Eichen, die mehr als 300 Jahre überdauert haben. Der Teil, der für den Park in Frage kommt, gehört dem Land Bayern. Kein privater Waldbesitzer soll enteignet werden. Das Gebiet wäre nach aktueller Planung 10 900 Hektar groß. Das ist etwa ein Zehntel der gesamten Waldfläche im bayerischen Teil des Spessarts. Im Rest - also auf rund 96 000 Hektar - liefe die Forstwirtschaft weiter wie bisher.

Und trotzdem kommen zu den Demos gegen den Nationalpark Hunderte. Wenn man den Widerstand dieser Menschen verstehen will und ihre Gefühle, muss man zum Beispiel mit Stefan Hein sprechen. Hinter seinem Haus liegt seine Pferdekoppel, dahinter beginnt der Forst. Vor Jahren gaben die Ärzte seinem Vater nur noch wenige Monate. Damals finden die zwei Männer einen gemeinsamen Nenner: im Wald spazieren.

Der Vater hat überlebt, aber den Wald fürchtet Hein genauso zu verlieren wie den Frieden in seinem Dorf. Manche grüßen nicht mehr, deshalb will Hein seinen echten Namen nicht nennen. Heute geht der 42-Jährige mit seinen Kindern in den Forst. Sein Sohn war drei, da nahm er ihn das erste Mal mit zum Übernachten zwischen den Bäumen. »Meine Angst ist, dass mit dem Nationalpark ein Schild hinter mein Haus kommt, und da steht drauf ›Betreten verboten‹.«

Ein Wegegebot soll es allerdings dem bayerischen Umweltministerium zufolge nicht geben, das Gebiet soll für alle zugänglich bleiben. Für Hein aber zählt nur ein Gefühl: Alles soll bleiben, wie es ist.

»Wir leben vom Wald und für den Wald, wir kommen vom Holz her, seit Jahrhunderten, und diesen Wald wollen die uns kaputt machen«, sagen die Gegner im Spessart. »Die dummen Bauern werden's schon schlucken, das denken die.« Die Naturschützer, die Münchner, die Regierung. Von außen beherrscht zu sein, gehört in Franken zum Selbstverständnis.

Wald, Armut und Märchen: Sie prägen das Image der Region und das Selbstbild. Ein kleines Mädchen hält auf der Demo ein Schild hoch, »Ich bin kein Rotkäppchen«. Ein alter Mann ruft: »Der Wolf fällt uns doch an!« Der Wolf ist scheu, in Deutschland ist kein Fall bekannt, in dem ein Wolf dem Menschen gefährlich wurde. Aber die Angst ist da. dpa/nd

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