Die Opfer-Täter

Im Kino: »Wrong Elements« von Jonathan Littell über Kindersoldaten

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

»Dann hörte ich Geräusche. Ich dachte, es ist Holz, auf das sie da einschlagen. Es waren die Köpfe meiner Kinder.« Die Frau, die so spricht, sitzt neben einem von denen, die da schlugen. Und verzeiht ihm, Jahre später, weil auch er damals erst Opfer war, bevor er Täter wurde. Es sei gut, dass jedenfalls er es heil aus dem Wald geschafft habe, sagt sie müde und bleibt auf ihrer Matte sitzen, während der junge Mann sich mit dem Kamerateam entfernt. Ihre älteren Söhne teilten sein Schicksal: Auch sie wurden von Joseph Konys ugandischer Rebellenarmee LRA in den Busch entführt und zu Kindersoldaten programmiert.

Johann Littell, krisengebietserfahrener früherer NGO-Mitarbeiter und Autor (»Die Wohlgesinnten«), widmet sein Regiedebüt dem Porträt von vier ehemaligen Kindersoldaten, zwei jungen Frauen, zwei jungen Männern. Er interviewt sie, lässt sie von ihren Erlebnissen erzählen, filmt sie dabei, wie sie in der Gruppe der Schicksalsgenossen halb entnervt, halb nostalgisch über das reminiszieren, was für sie Kindheit und Jugend war. Wie sie sich im Busch bewegen und erklären, wie man Spuren verwischt. Wie man sich an Vorratslager heranpirscht, um sie auszuplündern, wie man mit Zivilisten umging und mit Soldaten der ugandischen Armee des damaligen (und heutigen) Staatspräsidenten Museveni, wenn man auf sie stieß. Und auch, warum im Busch ein striktes Rauchverbot herrschte.

Und er konfrontiert sie mit Aufnahmen eines gefangenen LRA-Führer, der nicht zu den Nutznießern der flächendeckenden Amnestie gehört, die den einfachen Fußsoldaten zuteil wurde. Einer Amnestie, mit der der Man aber sichtlich gerechnet hatte - und selbst seine ehemaligen Opfer finden es unfair, dass ihrem Kommandanten nun vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess gemacht wird. Hätte er das gewusst, wäre er lieber im Busch geblieben, mutmaßen sie wohl zu Recht. Und nein, ist die übereinstimmende Meinung, das sei keine gute Sache, dass man ihn nun so behandele. Auch er sei schließlich einst entführt worden und habe keine andere Wahl gehabt. Und jeder verinnerliche doch das, was ihm als Kind eingebläut wurde. Von den Lehrern. Oder eben von Milizionären.

Was zu einem schwierigen Fazit führt: Denn natürlich hat jeder eine Wahl, auch wenn die andere Option ist, selbst erschossen zu werden, statt Dritte zu erschießen. Und wenn gelten soll: einmal Kindersoldat, immer Kindersoldat, weil es das einzige ist, was diese Kinder je systematisch lernten, wie soll man dann mit diesen Opfer-Tätern umgehen? In der Regie-Erklärung zum Film reißt Littell Parallelen an zur Gehirnwäsche, die Islamisten wie der IS einer jüngeren, aktuellen Generation antun. Der Vergleich hinkt, weil die soziale Reintegration ehemaliger IS-Kämpfer schon rein zahlenmäßig nicht vergleichbar ist mit den Zehntausenden, die unter die Amnestie in Uganda fielen.

Auf der Tonebene ist es europäische Klassik, die Flüge über Wälder und Dörfer begleitet. Eine der jungen Frauen vor der Kamera wurde dem Rebellenführer zugeschlagen und bekam ein Kind von ihm. Eines von hundert, wie sie selbst sagt. Aber auch: Kony habe sich immer nur die Bestaussehenden ausgesucht. Eine andere, die es zu zwei Kindern mit »dem Boss« brachte, muss also wohl besser ausgesehen haben als sie, ist das unausgesprochene Fazit. Aber die, das bricht dann mit einiger Befriedigung aus der Interviewten heraus, die ist ja nun tot und »verrottet im Wald«.

Der Wald, das ist der Ort ihrer Leiden, der Ort, an dem sie ausgebeutet und vergewaltigt wurde. Aber auch der Ort, an dem sie zum Kreis der Auserwählten gehörte. Beschützt wurde vor dem Zugriff anderer Rebellen: wenn einer es gewagt hätte, sich an einem der Mädchen des Chefs zu vergreifen, hätte er das nicht lange überlebt. Ein Ort, wo viele hungerten, während sie stets so viel zu essen hatte, dass sie andere mitversorgen konnte, denen es schlechter ging als ihr. Noch heute drückt sie ein Foto vom »Boss« an die Brust. Und lebt mit seinem Kind in einer Hütte - und mit dem eines anderen Mannes. So weit reicht Konys Arm heute nicht mehr, das er das hätte verhindern können.

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