Die gesonderte Kunstgeschichte

Symposium bereitet Ausstellung im Palais Barberini in Potsdam vor

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer immer es zu einer bestimmten Zeit in einer in diesem Fall genau festgelegten Gegend wagte, Kunst zu machen, war selbst dran schuld. Die unter den drei Buchstaben D, D und R lebenden Pechvögel sind damit gebrandmarkt, dass der Staat sie für sich reklamierte. Und das glauben alle maßgebenden Leute bis heute. Gesamtdeutsch sind sie immer noch nicht. Sie haben eine gesonderte Kunstgeschichte. Sie dürfen Opfer spielen. Bei Verdacht der Täterschaft müssen mildernde Umstände erst erwogen werden. Das künstlerische Ergebnis braucht wegweisende Erklärung. Um das auf den Weg zu bringen, gibt es Kunstwissenschaftler als lebende Wegweiser.

Ja, ich weiß, das ist so boshaft formuliert, dass es nicht unter meinem Namen zitierfähig ist. Höchstens als Stimme eines »nd-Mitarbeiters«, der als »gelernter Marxist am liebsten den Unterbau, die gesellschaftlichen Verhältnisse, ausblenden möchte«. Der Referent der »Märkischen Allgemeinen« hat meinen Zwischenruf, in dem ich den Ersatz künstlerischer Bewertung durch Funktionärsschelte monierte, auf diese Weise uminterpretiert. Damit hat er schneller als ich ein am 24. April stark besuchtes Symposium für den Zeitgeist ausgewertet. Das Museum im Palais Barberini Potsdam hatte zur Vorbereitung seiner Herbstausstellung mit Kunst aus der DDR eingeladen, und der Saal war brechend voll besetzt. Sechs eloquent referierende Stimmen taten kund, was meist erst frisch erworbene Kenntnis zum Kunstschaffen im fremden Land war. Mit jener Kunst näher Vertraute saßen eher im Publikum.

»Hinter der Maske« als Titel der Veranstaltung hätte auf eine gewisse Ambivalenz vieler Werke hinweisen können. Die Abbildung des in Bronze gegossenen Mattheuer-Mannes mit der Schafsmaske wurde gezeigt. Ohne Kommentar. Dabei wirkt sie in ihrer Pegida-Symbolik hochaktuell. Doch hier war das Damals angesagt. Ja, im Detail ging es da grundsolide zu. Ja, viele Facetten jener Kunst waren erfasst. Ja, Kommunisten durften sogar träumen. Ja, alles gab es groß abgebildet auf einer Schauwand. Ja, es wimmelte von Details aus Tagebüchern und Besprechungen. Ein Geflecht verschiedener Eindrücke, gebündelt immer wieder in einem Punkt: Der Konfrontation mit der Staatsmacht.

Die Frage ist: Ist so ein Neuansatz für eine dem Jahr 2017 angemessene souveräne Sicht zu finden? Wenn der federführende Michael Philipp den Begriff Staatskünstler ablehnt, ist das Schnee von gestern. Dennoch von Staatskunst zu reden, führt schon wieder aufs Glatteis. Die Abfolge der Generationen geriet ihm ein wenig zu simpel. Das differenzierte Milieu, auf das ihn in der folgenden Debatte der verehrte Nestor der Potsdamer Kunsthistorie Heinz Schönemann erst hinweisen musste, verbietet eine Reduzierung der ersten Generation auf den kurzen Formalismus-Streit. Die politischen Behinderer und Verhinderer so wichtig zu nehmen, als ob sie den Kunstprozess gesteuert hätten, ist einfach falsch. Spätestens seit den 1970er Jahren bekam dieser eine künstlerische Eigendynamik, die all jene Hochleistungen erst möglich machte, die wir heute bewundern. Am Ende spielte der Staat halt mit.

Wohlgemerkt: Die fiesen Machenschaften der Sicherheitsorgane sind unleugbar. Da gibt es nichts zu beschönigen. Hier geht es jedoch um Kunstgeschichte. Muss man jedes einzelne Ausstellungsverbot zum Weltereignis stilisieren? Diskutant Andreas Hüneke macht ein Selbstbildnis von Grimmling künstlerisch nur daran fest. Dabei liegt gerade die Güte vieler dieser Kunstwerke in der Vieldeutigkeit. Valerie Hortolani war dem schon wunderbar auf der Spur, als sie von »Seelenbildern« sprach, und damit die vordergründig politische Sicht verließ. Realistisch gemalte Details überzubewerten - der Versuchung erlag sie aber dann doch. Petra Lange-Berndt sah kollektive künstlerische Arbeit seit der Oktoberrevolution als offiziell gewolltes »Muss«, das sich zunehmend wandelte. Am Ende gaben die halb illegal agierenden Künstlergrüppchen wieder Stoff für kriminalistische Erwägungen.

In atemberaubend schnellem Englisch raste der Vortrag von Hannah Klemm aus St. Louis vorbei. In der US-amerikanischen Ferne wird ja mehr dieser Kunst aufbewahrt, als uns gemeinhin klar wird. Glöckner, Adler und Bartnig werden da als Meister der abstrakten Autonomie stärker wahrgenommen als hier. Der Dresdnerin Carolin Quermanns Rückverweise von Gerda Lepke, Hassebrauk und Strawalde auf Vorgänger gaben dazu angenehm warmherzig den heimischen Kontrast, der dann von Martin Schieder mit »Drinnen, draußen und ich« zur Atelierthematik wieder ins Allgemeingültige erweitert werden sollte. Die Chance, extremer individueller Originalität gerecht zu werden, war in dem Moment vertan, wo wiederum von »Überwachung und Unterwanderung« die Rede war.

Wir alle hatten den großzügig sammelnden Sponsor Hasso Plattner so verstanden, dass er mit diesem Haus Chancen eröffnet, zu unserer vergangenen Kunst klüger zu werden. Diese Kunst wollte ausschließlich als Kunst wahrgenommen werden. In jenen Jahren konstant als Malerei, Plastik und Grafik. Es ist ein Rätsel, wieso großartige Leistungen moderner Druckgrafik nichts mehr gelten. Wie viel gibt es da noch zu entdecken!

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