Für Pretzell geht es um mehr als einen Parlamentseinzug
Dem AfD-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen droht ein weiterer Machtverlust
Beim Blick auf die Umfragwerte dürfte es Marcus Pretzell zuletzt mulmig geworden sein. Die Forschungsgruppe Wahlen taxierte die AfD vor wenigen Tagen für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen bei nur sechs Prozent. Das würde zwar für den Sprung in das Düsseldorfer Parlament reichen, doch für den NRW-Landeschef wäre solch ein Ergebnis dennoch eine Niederlage. Immerhin gilt der 43-Jährige als einer der wichtigsten Köpfe der Rechtsaußenpartei, entwirft ihre Strategien mit und gilt als gut vernetzt.
Sein letzter Erfolg stellte sich im Nachgang aber als Strohfeuer heraus: Pretzell war es, der in seiner Funktion als Europaabgeordneter den Kongress der rechten EU-Parlamentsfraktion »Europa der Nationen und der Freiheit« (ENF) im Januar nach Koblenz holte. Gäste wie Marine Le Pen oder Geert Wilders feierten AfD-Chefin und Pretzell-Ehefrau Frauke Petry als größte Gefahr für Kanzlerin Merkel. Letztlich brachte der PR-Erfolg außer ein paar Gruppenfotos nicht viel. Petry steht seit dem Kölner Bundesparteitag schwach wie nie in der AfD da. Das Politpaar braucht im Machtkampf dringend neue Erfolge.
Für Pretzell kann dies nur heißen: Die NRW-AfD muss bei der Abstimmung am Sonntag stärker abschneiden als die Partei in Schleswig-Holstein (5,9 Prozent) und im Saarland (6,2 Prozent) bei den zwei vorangegangenen Wahlen. Beide Landesverbände sind parteiintern unbedeutend. NRW stellt dagegen mit 4600 Personen die meisten Mitglieder der AfD.
Was alle drei Verbände allerdings eint: Machtkämpfe werden in der Öffentlichkeit ausgefochten. Auch die AfD an Rhein und Ruhr bildet da keine Ausnahme. Pretzell und Co-Landeschef Martin Renner sind alles andere als Freunde und spiegeln den Streit der Bundespartei wider. Während Pretzell logischerweise Petry unterstützt, zählt Renner zum Lager um Björn Höcke.
Schon die Vorbereitung des Wahlkampfs geriet zum peinlichen Possenspiel: Wie der »Stern« im November 2016 enthüllte, hatten sich in einer geheimen Gruppe des Nachrichtendienstes Whatsapp Unterstützer Pretzells organisiert, um die Landesliste nach ihren Wünschen zu gestalten. Allein bei strategischen Absprachen blieb es nicht, die Gruppe entpuppte sich als Treffpunkt zum hemmungslosen Lästern. Parteiinterne Gegner wurden darin unter anderem als »Vollpfosten« und »Pappnasen« diffamiert. Auch die Delegierten, die über die Nominierungen zu entscheiden hatten, kamen in etlichen Äußerungen schlecht weg.
Zum politischen GAU kam es, als Pretzell im Januar erfolglos versuchte, Renner als Co-Chef von einem Landesparteitag abwählen zu lassen und dabei auf die Unterstützung fast des gesamten Vorstands baute. Renners Antwort folgte nur knapp einen Monat später. In einer Stichwahl um den Spitzenplatz auf der Landesliste zur Bundestagswahl setzte er sich gegen den von Pretzell favorisierten Kandidaten Kay Gottschalk durch. Die Mehrheit der NRW-AfD steht also nicht hinter Petrys Ehemann. Sollte die Partei am Sonntag schwach abschneiden, dürften die Attacken zunehmen.
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