Sind so stille Vögel
Im Kino: Der Dokumentarfilm »National Bird« über den US-Drohnenkrieg
Solange man sich einreden kann, die bewegten Punkte da unten im Visier seien nichts als das: bewegte Punkte, solange ist alles gut. Erst wenn man die Punkte mit den Erfolgsmeldungen vom Tag danach verbindet, ergibt sich ein dreidimensionales Bild. Und das kann dann schon an die Nieren gehen.
Lisa, Daniel und Heather, die Protagonisten von Sonia Kennebecks Anti-Drohnenkrieg-Film »National Bird«, haben alle in entscheidender Weise Anteil daran, dass irgendwo in Afghanistan Menschen bei Hochzeiten, Trauerfeiern oder am Straßenrand ums Leben kamen, von oben herab ohne jede Vorwarnung attackiert. So als ob man morgens auf dem Weg zum Bäcker wäre, und - zack, das war’s. Weshalb Kennebeck zwischen Interviews mit ihren Protagonisten - heute alle traumatisiert, ernüchtert, schuldgeplagt, reuig - minutenlang Luftaufnahmen wohlgeordneter Vorstädte auf US-Boden schneidet: Die Amerikaner will sie schließlich überzeugen, ihren ungezügelten Einsatz unbemannter Bombenwerfer einzustellen. Schon die Namen der Dinger sprechen Bände: Predator heißen sie oder Reaper, Beutegeier, Sensenmann. Die Kollateralschäden sind ungeheuer und kaum zu vermeiden. Die Kommunikation zwischen den militärischen Stellen, die die Entscheidungen treffen, und den armen Schweinen, die irgendwo im Mittleren Westen auf den Abzug drücken, ist strikt hierarchisch strukturiert und ohne große Möglichkeit der Widerrede. Damit das System funktioniert, ist die Kommunikation eine höchst begrenzte. Die Zweifel, die dem Einzelnen kommen mögen, bleiben stumm. Und wenn sie sich doch Bahn zu brechen suchen, werden sie vom System geschluckt und verhallen ungehört.
Jenes Gesetz von 1917 darf dabei nicht vergessen werden. Der ausgesprochen zivilcourage-feindliche Espionage Act aus dem Ersten Weltkrieg gilt noch heute für all jene, die mit militärischen oder anderen sicherheitsrelevanten Geheimnissen zu tun haben und bewirkt, dass sie sich keines Schutzes durch zivile Gesetze sicher sein dürfen. Weshalb die drei Whistleblower vor Kennebecks Kamera, die nicht mehr mit dem leben können, was sie im Auftrag ihrer Regierung taten, vorsichtig sein müssen, dass sie den Auftritt in dem Film nicht wegen Landesverrats und Spionage mit einem lebenslangen Aufenthalt hinter Gittern bezahlen. Dass es die Regierung Obama war, die all jene Einsätze befahl, ist in diesen ungleich unsteteren Zeiten eine bitterböse Ironie am Rande.
Ein »Citizenfour« ist »National Bird« also nicht geworden: Snowden war bereits in (relativer) Sicherheit, als Laura Poitras ihren Film produzierte, die journalistischen Kollegen an die Risiken ihres Jobs gewöhnt. Kennebecks Personal versucht die Rückkehr in ein ziviles Leben in den USA und ist damit verwundbar, wo Gesetze zu politischen Waffen umgeschmiedet werden. (Snowdens Anwalt ist auch in diesem Zusammenhang aktiv.) So reden sie vor der Kamera, aber immer ein bisschen um den heißen Brei herum. Was beim vorsichtigen Sortieren des Erlaubten und des Lebensgefährlichen übrig bleibt, ist erschreckend genug.
Daniel ging zum Militär, um der Obdachlosigkeit zu entgehen, und endete bei der National Security Agency (NSA). Heute ist er Pazifist. Heather war bei der Luftwaffe. Sie analysierte die Daten, die andere zusammentrugen, immer auf der Suche nach »lohnenden« Zielen. Heute leidet sie, kriegsbedingt, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Und ist ständig auf der Suche nach Psychotherapeuten, mit denen sie über ihr Trauma sprechen kann; den allerwenigsten dürfte sie solche Geheimnisse überhaupt erzählen. Und Lisa wurde am Ende ihrer Tätigkeit schriftlich dafür ausgezeichnet, dass sie Hunderttausende Ziele identifizieren half. (Wenn sie alleine an Hunderttausenden Einsätzen maßgeblich beteiligt war, wie viele Einsätze gab es insgesamt?) Statt sich das Dokument gerahmt an die Wand zu hängen (wäre wahrscheinlich ohnehin wieder top secret), fährt sie mit einer NGO nach Afghanistan, um sich vor den Überlebenden eines fehlgelaufenen Drohnenangriffs persönlich für ihr fehlgeleitetes Tun zu verantworten. Was diese Menschen dann wiederum in eine unmögliche Lage bringt.
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