Kleinstadt lehnt eine Million Euro ab

Baden-Württemberg: Wenn Freibäder zur Last werden

  • Sönke Möhl, Waldshut
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer würde eine Million Euro ablehnen? Waldshut-Tiengen an der Schweizer Grenze macht es. Waldshut-Tiengen ist eine Doppelstadt ganz im Süden Baden-Württembergs mit knapp 24 000 Einwohnern, finanziellen Nöten - und zwei Freibädern, die beide saniert werden müssen. Geschätzte Kosten: je vier Millionen Euro. Geld ist kaum für ein Projekt da, also entscheiden die Gemeinderäte: Das Freibad in Tiengen wird saniert und das in Waldshut wird, wenn auch nicht ausdrücklich beschlossen, irgendwann dicht gemacht. Jetzt kommt der anonyme Spender ins Spiel: Der will eine Million Euro spenden, wenn auch das Freibad in Waldshut saniert und weiter betrieben wird.

»Das ist ein großzügiges und gleichzeitig unmoralisches Angebot«, sagt Oberbürgermeister Philipp Frank (CDU) der dpa. Man könnte auch sagen, ein vergiftetes Geschenk, weil der Stadt damit nicht geholfen wäre.

Das Geld würde nur ein Viertel der Investition decken und laufende Defizite verlängern. »Es geht darum, Schaden von der Stadt abzuwenden«, sagt der 49-Jährige und betont gleichzeitig, das Angebot komme von einer absolut ehrenwerten Person, die es gut meine. Die Spende zur Sanierung eines Freibads würde wegen damit verbundener Bedingungen die Verschuldung der Stadt aber weiter nach oben treiben.

Der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen ist ein solcher Fall neu. »Mir sind solche Fälle nicht bekannt«, sagt Sprecher Joachim Heuser. Gegen Spenden sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Je nach Kosten von Sanierung und Betrieb sei eine Million Euro aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, erklärt Heuser.

Ein gelungenes Beispiel anonymer Spenden ist aus Sachsen bekannt. Die Stadt Görlitz bekam seit 1995 jedes Jahr verlässlich Geld, genannt »Altstadtmillion«, insgesamt mehr als zehn Millionen Euro. Das Geld wurde für die Sanierung der Altstadt eingesetzt. 2016 endeten die Zahlungen.

Frank zufolge schiebt Waldshut-Tiengen die Sanierung der beiden Schwimmbäder seit 20 Jahren vor sich her. Man sei eigentlich schon zur Sanierung eines Bades nicht in der Lage. Zwei Bäder? »Das würde der Stadt schlichtweg das Genick brechen.« Alle Möglichkeiten seien diskutiert worden. Der Gemeinderat habe dann im April beschlossen, das Freibad Tiengen zu sanieren.

Unmoralisch ist das Angebot nach Franks Überzeugung, weil es nach dem Beschluss des Gemeinderates kommt. Die Entscheidung für das Freibad in Tiengen gründe sich auch darauf, dass die Stadthalle in Waldshut einschließlich des dortigen Hallenbades für rund 23 Millionen Euro modernisiert wird. Die beiden Freibäder und das Hallenbad zusammen verursachen nach Angaben des OB bisher jährlich ein Defizit von 800 000 Euro. »Das kann die Stadt sich dauerhaft nicht mehr leisten.«

Eine Schließungswelle bei Schwimmbädern ist nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen nicht erkennbar. Insgesamt gebe es in Deutschland Pläne, 67 Schwimmbäder dichtzumachen, heißt es in der Fachzeitschrift »AB Archiv des Badewesens« vom Dezember 2016. Darunter seien 30 Freibäder. Der sogenannte Bäderatlas führt insgesamt 4763 Bäder in Deutschland auf, davon 2131 Freibäder. Die Betreiber sehen jedoch einen hohen Sanierungsbedarf bei 57 Prozent der Freibäder. Einer Hochrechnung zufolge dürfte sich der Investitionsbedarf für alle Bäder in Deutschland auf über 4,5 Milliarden Euro summieren, davon mehr als 1,3 Milliarden Euro für Freibäder. dpa/nd

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