Lammert kritisiert Finanzpakt als »grenzwertig«

Bundestagspräsident lehnt umfangreiches Gesetzespaket ab / Linkspartei: Autobahnprivatisierung wird im Bundesrat zum Erpressungsakt

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Berlin. Es ist eines der größten Gesetzespakete dieser Legislaturperiode: Am Donnerstag stimmt der Bundestag namentlich über die Neuordnung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern ab dem Jahr 2020 ab, dem Bundesrat liegen die dazu notwendigen Grundgesetzänderungen am Freitag vor. Im vergangenen Oktober hatten sich Bund und Länder nach zähen Verhandlungen auf ein Paket verständigt, demzufolge die Länder jährlich 9,75 Milliarden Euro vom Bund erhalten sollen - sogar mit steigender Tendenz. Das schafft Spielräume für Landespolitik und ist deutlich mehr Geld als bisher. Die andere Seite der Medaille: Der Bund bekommt dafür mehr Eingriffsrechte - etwa bei Fernstraßen, in der Steuerverwaltung und bei Schul-Investitionen.

Drei Streitpunkt markierten in den vergangenen Wochen die Diskussion darüber. Der eine hängt mit dem Verfahren und der Tatsache zusammen, dass das Grundgesetz an zahlreichen Stellen geändert wird, was Folgen für den Föderalismus hat. Als einer der prominentesten Gegner der Reform in den Regierungsreihen gilt aus diesem Grund Bundestagspräsident Norbert Lammert. Bei der Probeabstimmung lehnte er das Gesetzespaket wie angekündigt ab.

In Hochgeschwindigkeit Richtung Zentralstaat?

Lammert befürchtet eine zunehmende Entwicklung hin zu einem Zentralstaat. »Dass die umfangreiche geplante Neuregelung verfassungswidrig sei, behaupte ich nicht«, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Aber offenbar geht es nur auf dem Weg einer Serie von Verfassungsänderungen, die ich für formal grenzwertig, um nicht zu sagen indiskutabel halte und die in der Sache höchst problematisch ist.«

Der zweite Knackpunkt: Die Art und Weise, mit das Gesetzespaket durchgepeitscht wird. Experten haben den Zeitdruck beklagt, mit dem die Änderungen zur Abstimmung gestellt werden. Die entsprechenden Drucksachen sollen per Boten in die Bundesratssitzung geliefert werden.

Ist Privatisierung durch die Hintertür möglich?

Dritter Punkt: Bis zuletzt umstritten waren die Pläne für die künftige Autobahngesellschaft des Bundes. Mit der Infrastrukturgesellschaft will der Bund nach eigenen Worten für mehr Effizienz in Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen und Bundesstraßen sorgen. Die Länder geben Befugnisse ab. Union und SPD hatten sich erst kürzlich auf zusätzliche Privatisierungsschranken im Grundgesetz verständigt, um eine Veräußerung der Gesellschaft und von Autobahnen auch durch die Hintertür zu verhindern.

Die Hintertür der Hintertür Die Koalition hat die umstrittenen Autobahn-Pläne nachgebessert. Doch entscheidende Gefahren bleiben.

Die Deutsche Presse-Agentur schreibt nun: »Eine Privatisierung der Autobahnen und Bundesstraßen ist erstmals verfassungsrechtlich ausgeschlossen.« Widerspruch kommt vom Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn: »Leider falsch. Die Privatisierung der Autobahnen ist nicht ausgeschlossen«, twitterte er am Donnerstagmorgen.

Laut Zeitungsberichten hat zwar der Bundesrechnungshof bestätigt, dass nach der Einigung eine Privatisierung ausgeschlossen sei. Dies soll in einem internen Bericht formuliert sein, so die »Berliner Zeitung«. Rechtsexperten und Teile nicht nur der Opposition befürchten aber weiter Schlupflöcher, durch die umstrittene öffentlich-private Partnerschaften entstehen könnten. Ein anderes Argument gegen die Infrastrukturgesellschaft lautet: Diese ist eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft, das heißt zwar noch nicht tatsächliche Privatisierung, erhöhe aber die Gefahr, dass Teile der Autobahn privatisiert würden.

Die »Taz« zitiert Carl Waßmuth vom Bündnis »Gemeingut in BürgerInnenhand« mit den Worten, die geplante Gesellschaft könne »trotzdem Teile des Straßennetzes privatisieren, nämlich über öffentlich-private Partnerschaften, sogenannte ÖPPs, bei denen Privatunternehmen den Straßenbau finanzieren und organisieren und dafür über Jahrzehnte eine garantierte Rendite aus Maut oder Steuern erhalten«.

Die Gewerkschaft ver.di erklärte am Mittwoch, »dass sich in der parlamentarischen Beratung noch einmal einiges bewegt habe, auch bei der Einrichtung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft«. Man habe eine solche Gesellschaft »und die damit verbundene Privatisierungsgefahr immer abgelehnt«, so Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Pieper. Die Gesellschaft habe am Ende nicht verhindert werden können.

Allerdings sei es »gelungen, dass die Beschäftigungsverhältnisse der Betroffenen tarifvertraglich geregelt werden müssen und Arbeitsplatz und Arbeitsort grundsätzlich gesichert werden«. Mit Blick auf die umstrittenen ÖPP-Maßnahmen sagte er, diese würden »bereits heute durchgeführt und sind nach der Bundeshaushaltsverordnung an unzureichende Kriterien gebunden«. Ver.di werde sich weiter dagegen stark machen.

Diskussion um Verhalten der Länder im Bundesrat

Offen ist noch die Frage, wie die Länder im Bundesrat abstimmen werden, in denen die Linkspartei mitregiert. Dies hat auch zu Diskussionen hinter den Kulissen geführt, die Bundesebene will hier mit Kritik an der möglichen Privatisierung punkten, die Länder stellen ihre länderpolitischen Interessen in den Vordergrund - und hatten praktisch kaum eine Wahl. Da die Neuverhandlung der Bunde-Länder-Finanzbeziehungen dringend nötig war, weil die bisherige Regelung 2020 ausläuft, zugleich aber die Verhandlungen langwierig sind, konnte das Bundesfinanzministerium den Hebel ansetzen, und verschiedene Fragen in das Gesamtpaket hineinstricken.

»Wir halten es für inakzeptabel, dass die Autobahnprivatisierung im Bundesrat in erpresserischer Art und Weise im Gesamtpaket zur Reform der Bund-Länder-Finanzen zur Abstimmung gestellt werden soll«, beklagte am Donnerstag die komplette Führungsriege der Linkspartei und kündigte an, »im Bundestag gegen jede Form der Autobahnprivatisierung« zu stimmen. In den Ländern wird darauf verwiesen, dass hinter der »teuflischen Vermischung von Finanzausgleich und Autobahn-Privatisierung« noch andere Fragen lauern - etwa die, wie die Linkspartei als soziale Kraft den Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur auflösen soll, wenn dazu Geld fehle. Der neue Finanzausgleich schaffe hier Spielräume für ökologische und solidarische Investitionen.

Vor einigen Tagen hatten deshalb der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, der brandenburgische Finanzminister Christian Görke und der Berliner Kulturbürgermeister Klaus Lederer erklärt, der Bund und insbesondere Finanzminister Schäuble nutzten »die über Jahre geschaffene Finanznot der Länder aus«. Auch die drei Linkspolitiker wandten sich gegen eine mögliche Privatisierung: »Die Straßeninfrastruktur gehört zur Daseinsvorsorge und muss vom Staat für alle Bürger vorgehalten werden.« nd/Agenturen

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