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Die Hintertür der Hintertür

Die Koalition hat die umstrittenen Autobahn-Pläne nachgebessert. Doch entscheidende Gefahren bleiben

Privatisierung der Autobahnen verhindert? Die Kritiker, die dafür seit Monaten kämpfen, konnten die plötzliche Wende kaum glauben. Erst sollte das Gesetzespaket diese Woche durch den Bundestag gejagt werden, am Dienstag wurden die Abstimmungen überraschend abgeblasen, nur Stunden später machte am Mittwochnachmittag die Eilmeldung die Runde: Koalition einig über Autobahngesellschaft. Und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betont, seine Partei habe großen Wert darauf gelegt, dass es nicht zu Privatisierungen komme. Deshalb seien mehrere Privatisierungsbremsen eingebaut worden. Die SPD pochte darauf, dass nicht nur ein Privatisierungsverbot für die Gesellschaft und ihre Tochterfirmen in der Verfassung verankert wird, sondern auch Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) per Grundgesetz begrenzt werden. Es klang nach einem Riesenerfolg für die Gegner eines Vorhabens, das von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) angeschoben wurde. Wobei das Wort »begrenzt« bereits misstrauisch machen konnte.

Die Gründung einer bundeseigenen Autobahngesellschaft ist Teil eines viel größeren Reformpakets zur Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern (siehe Randspalte). Die Autobahnen, bislang Ländersache, sollen damit auf eine bundesweite Infrastruktur-GmbH übertragen werden. Die Zentralisierung soll Betrieb und Ausbau effizienter gestalten. Geplant war zudem, dass dabei auch private Investoren mitmischen dürfen.

Ungewöhnlich breit war der Widerstand: Von privatisierungskritischen Initiativen, Gewerkschaften und Umweltorganisationen bis hin zu ADAC und Bundesrechnungshof hagelte es scharfe Kritik. Mehr als 280 000 Menschen unterschrieben Appelle gegen eine drohende Autobahnprivatisierung, darunter zahlreiche SPD-Mitglieder. Sie fürchten, dass Strukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge einmal mehr den Gewinnerwartungen von Hedgefonds, Banken und Versicherungen ausgeliefert würden. Seit Monaten werden die SPD-Abgeordneten deshalb von ihrer Basis mit Briefen bombardiert. Das macht Eindruck, besonders in schwierigen Wahlkampfzeiten.

Nach der Einigung von Mittwoch soll eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und möglichen Tochtergesellschaften per Grundgesetz ausgeschlossen werden. Ebenfalls verfassungsrechtlich verhindert werde nun eine »funktionale Privatisierung«, etwa über ÖPP-Projekte für Teilnetze, erklären die Koalitionsspitzen. In diesen Worten wird es allerdings nicht im Grundgesetz stehen. Statt dessen umständlich: »Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.« Umgekehrt bedeutet diese Festlegung aber auch: ÖPP bleibt möglich. Begrenzt auf, im Begleitgesetz findet sich die Erläuterung zu Oppermanns Einlassung, Einzelprojekte mit maximal 100 Kilometern. Allerdings dürfen diese nicht aneinandergrenzen. Bei ÖPP übernehmen Private den Bau und den Betrieb von Autobahnen. Sie sind heftig umstritten, weil sie kaum kontrollierbar sind und die öffentliche Hand am Ende meist teuer zu stehen kommen. (siehe unten)

Auch SPD-Verhandlungsführerin Bettina Hagedorn zählt sich zu den ÖPP-Gegnern. Dennoch kann sie mit dem neuen Vorschlag leben. Natürlich sei jetzt nicht alles gut, aber das Glas sei halb voll und nicht halb leer, sagt Hagedorn gegenüber »nd«. In der alten Fassung hätte die Haushaltspolitikerin dem Gesetz nicht zustimmen wollen, nun wirbt sie für ein Ja. Ihr Hauptanliegen, mit zwei weiteren Grundgesetzänderungen Privatisierungen durch die Hintertür wirksam zu verhindern, sei erreicht.

Dafür hat sie auch eine Kröte schlucken müssen. So wird es künftig bis zu zehn regionale privatrechtliche Tochtergesellschaften geben. Bayern kann seine beiden Autobahngesellschaften behalten. »Die Töchter dürfen aber nicht mehr als die Mutter«, betont Hagedorn. Als Erfolg wertet die SPD-Politikerin, dass für die Gesellschaften nun Mitbestimmung und Tarifverträge vorgeschrieben seien. Zudem dürften die Autobahnverwaltungen eigenständig keine Kredite aufnehmen, wie es ursprünglich geplant war. »Verschulden dürfen sie sich lediglich beim Bund«, sagt Hagedorn. Die Finanzpläne müssen sie vom Haushaltsausschuss genehmigen lassen. »Gemessen am ursprünglichen Regierungsentwurf haben wir das Vorhaben um 180 Grad gedreht«, freut sich Hagedorn. Sie ist überzeugt, dass man das Gesetz in der jetzigen Form verantworten kann. Dafür werben die Fraktionsspitzen auch in einem Brief an die besorgten SPD-Mitglieder. Wie viele Kritiker Hagedorn folgen werden, ist offen. Die Koalition braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Grundgesetzänderungen. In den Fraktionssitzungen nächsten Dienstag werden Probeabstimmungen zeigen, wie viele beim Nein bleiben. Endgültig soll das Gesetz nach bisherigem Stand in zwei Wochen eingetütet werden.

LINKE und Grüne warnen vor dem Eindruck, nun sei die Gefahr gebannt. »Entscheidende Hintertüren für Privatisierungen stehen weiter offen«, sagt Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Eine Begrenzung von 100 Kilometern bei ÖPPs beschränke zwar die Größe der Einzelverträge, aber nicht die Masse. Auch finde sich weder ein Verbot für die Kreditaufnahme, noch eine Staatsgarantie für übernommene Verbindlichkeiten im Grundgesetzentwurf. So bleibe es möglich, dass sich Private über »Genussscheine« an der Gesellschaft beteiligen.

Die Kritik der LINKEN-Verkehrsexpertin Sabine Leidig setzt ein Stück früher an. Sie hält die Gründung einer privatrechtlichen Autobahnverwaltung für den Sündenfall. »Die Geschäftspolitik in solchen Unternehmen ist politisch nicht steuerbar«, verweist sie auf Erfahrungen mit der Deutschen Bahn. Weder Parlamente noch Bürger könnten die Richtung beeinflussen. Zudem werde die Umwandlung der GmbH in eine Aktiengesellschaft nicht dauerhaft ausgeschlossen. »Es bleibt ein Einstieg in die Privatisierung«, kritisiert Leidig. Die SPD mache sich damit mitschuldig an »Entdemokratisierung«.

Bei der Bürgerinitiative »Gemeingut in BürgerInnenhand« fühlt man sich wie in einem falschen Film. Schon einmal hatte die SPD, genauer Sigmar Gabriel, damals Wirtschaftsminister und Parteichef, behauptet, sämtliche Schlupflöcher für Privatisierungen gestopft zu haben. Das Gegenteil war der Fall. Und nun: »Schon wieder eine Privatisierungsschranke, die nichts taugt«, empört sich Carl Waßmuth. »Wollen die Koalitionsspitzen ihre eigenen Abgeordneten hinters Licht führen?« Der Infrastrukturexperte fordert ein klares Nein.

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