Hoher Blutzoll im Kampf um Mossul

Gefechte gegen den Islamischen Staat fordern viele Todesopfer unter irakischen Zivilisten

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Per Flugzeug wurden auch am Montag wieder Flugblätter über der irakischen Großstadt Mossul abgeworfen: Wer sich in Gebieten unter Kontrolle des Islamischen Staates befinde, solle »sofort Schutz in Gebieten suchen, die von der Armee befreit worden sind«, heißt es darauf.

Doch am Wochenende schlugen die Bemühungen der irakischen Regierung, die Bevölkerung in Mossul zu schützen, ins Gegenteil um: Im Stadtteil Al-Schira töteten Kämpfer des Islamischen Staates nach Angaben der Vereinten Nationen flüchtende Einwohner der Stadt, darunter auch viele Kinder. 163 Opfer habe man bislang gezählt, sagt UNO-Menschenrechtskommissar Zeid Raad Al Hussein: »Die tatsächliche Zahl ist wahrscheinlich sehr viel höher, weil die Bergung der Opfer sehr schwierig ist.« Denn man müsse stets damit rechnen, dass der IS zwischen den Leichen, die auf offener Straße zurückgelassen wurden, Sprengfallen deponiert hat.

»Dies ist ein Krieg, bei dem zivile Opfer so gut wie unvermeidbar sind«, sagte Regierungschef Haider al-Abadi am Dienstag in Bagdad. »Wir wollen alles unternehmen, um die Menschen zu schützen.« Denn nun geht es in der seit Oktober vergangenen Jahres andauernden Offensive auf die Großstadt Mossul um das Gebiet rund um die besonders dicht bevölkerte, verwinkelte Altstadt. Verteidigungsminister Erfan al-Hiyali rechnet deshalb mit einem »Kampf um jeden Zentimeter, gegen einen Gegner ohne Rücksicht und Gewissen«.

Schon in den vergangenen Monaten hatte der Kampf viele zivile Opfer gefordert. Das US-Militär, das die irakische Armee und die mit ihr verbündeten kurdischen und schiitischen Milizen mit Luftangriffen und Militärberatern, die meist Angehörige von Spezialeinheiten sind, unterstützt, teilte Ende voriger Woche mit, bislang seien rund um Mossul 484 Zivilisten getötet worden. Allerdings werden dabei nur die Opfer der US-Einsätze erhoben; die Nichtregierungsorganisation Airwars spricht von mehr als 3000 Opfern; allein bei einem Luftangriff im März seien mehr als 240 Zivilisten getötet worden.

Verteidigungsminister Hiyali beklagte am Dienstag vor dem Verteidigungsausschuss des irakischen Parlaments, die große Zahl an Beteiligten, die von Militäreinheiten aus mehreren Ländern über die vielen Milizen bis zum eigenen Militär reichen, mache es »gerade in dieser sehr komplizierten Phase« außerordentlich schwer, den Überblick zu behalten. »Wir müssen sehr viel Zeit dafür aufwenden, zwischen allen Seiten zu koordinieren, und oft scheitern diese Bemühungen.«

Zuvor hatten mehrere Ausschussmitglieder, aber auch die Vereinten Nationen kritisiert, die Aufforderungen zur Flucht führten vor allem dazu, dass die Menschen den Schutz ihrer Häuser verließen und so einem noch höheren Risiko ausgesetzt würden. Doch aus Sicht Hiyalis führt daran kein Weg vorbei: »Die Gefahr, dass Tausende als menschliche Schutzschilde missbraucht werden, ist einfach zu groß.«

Heftig kritisiert wird im Parlament aber auch die Sicherheitslage in den anderen Landesteilen. Bagdad und weitere Städte werden von einer Serie von Bombenanschlägen erschüttert, bei denen bislang mindestens 120 Menschen ums Leben kamen; die ohnehin schon hohe Kriminalitätsrate ist zudem im Mai weiter gestiegen. Die Polizeiführung von Bagdad beschwerte sich in der vergangenen Woche öffentlich, mehr als die Hälfte des Personals werde mittlerweile in Mossul eingesetzt; ein effektiver Schutz der Hauptstadt sei kaum noch möglich. Regierungschef Abadi versprach deshalb nun die Ausbildung zusätzlicher Polizisten.

Für ein wenig Ablenkung in Irak sorgte am vorigen Donnerstag die irakische Fußballmannschaft. Zum ersten Mal seit vier Jahren bestritt die Elf ein Heimspiel in Irak statt in Iran. Vor 60 000 Zuschauern gewann Irak 1:0 gegen Jordanien.

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