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Verdacht ist gut, Kontrolle besser

Polizei veröffentlicht Liste mit aktuellen Kriminalitätsbelasteten Orten

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Görlitzer Park, Kottbusser Tor und Rigaer Straße gehören dazu. Insgesamt zehn sogenannte kriminalitätsbelastete Orte (kbO) gibt es derzeit in Berlin. Am Donnerstag hat die Polizei die Liste auf ihre Homepage gestellt, nachdem Medien diese bereits am Mittwoch mit Berufung auf ein internes Papier der Behörde veröffentlicht hatten.

Bis jetzt waren die Orte geheim gehalten worden. Die Polizei begründet das in einer aktuellen Stellungnahme damit, es sollte »für Straftäter nicht vorhersehbar und ausrechenbar sein, wo sie auch unabhängig von einem konkreten Verdacht von der Polizei kontrolliert werden können.«

Da die verdachtsunabhängigen Kontrollen allerdings nicht nur für Straftäter gelten, sondern für alle Berliner, fordern insbesondere LINKE und Grüne aber schon seit langem, die Liste öffentlich zu machen, damit die Menschen wissen, was sie an bestimmten Orten in Berlin erwartet. Darauf hatte sich Rot-Rot-Grün in ihrem Koalitionsvertrag schließlich auch geeinigt.

Überraschend ist die nun von der Polizei bekanntgegebene Liste nicht. Die meisten Orte sind für ihre hohe Zahl an Straftaten bekannt. Darüber, dass Teile der Rigaer Straße in Friedrichshain, das Kottbusser Tor und der Görlitzer Park in Kreuzberg zu den kriminalitätsbelasteten Orten gehören, wurde zumindest spekuliert. Das gilt auch für die meisten anderen Gebiete, zu denen der Alexanderplatz in Mitte, der Leopoldplatz im Wedding, der Kleine Tiergarten in Moabit, der Schöneberger Regenbogenkiez, die Warschauer Brücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg sowie, Teile der Hermannstraße in Neukölln und der Hermannplatz zwischen Neukölln und Kreuzberg gehören.

Die genauen Abgrenzungen bleiben weiter geheim, »denn es soll vermieden werden, dass Straftäter mit diesem Wissen nur die Straßenseite wechseln, um einer verdachtsunabhängigen Kontrolle zu entgehen«, schreibt die Polizei in ihrer Mitteilung.

Christopher Lauer, ehemaliger innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus, geht die Veröffentlichung nicht weit genug. Die Angaben über die Gebiete seien zu vage. Die Begründung, warum die Abgrenzungen nicht veröffentlicht werden, hält er für »fadenscheinig«, wie er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schreibt. Lauer hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach dafür ausgesprochen, die Liste der Orte zu veröffentlichen.

Das gilt auch für Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Ihm geht es allerdings ums Prinzip, nicht um die exakten Grenzen. »Auf die genaue Hausnummer kommt es mir nicht an.« Die kbO sieht er generell kritisch. Personen sollten nicht anlassunabhängig kontrolliert werden dürfen, sondern nur, wenn ein konkreter Verdacht vorliege. Deshalb fordert er: »Man muss die Frage stellen, ob man die kbO überhaupt braucht.«

Sogenannte kriminalitätsbelastete Orte gibt es in Berlin seit rund 20 Jahren. Die Zahl ändert sich immer wieder. Zwischenzeitlich waren 20 Gebiete als solche eingestuft. Das Kottbusser Tor und der Alexanderplatz sind schon lange dabei. Die konkrete Definition ergibt sich aus dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Voraussetzung sind »Straftaten von erheblicher Bedeutung«, also beispielsweise Raubtaten, Brandstiftungen, gefährliche Körperverletzungen, bandenmäßiger Taschendiebstahl oder Drogenhandel. Die Einschätzung nimmt laut Wenzel die örtliche Polizeidirektion vor. Sie stellt die notwendigen Daten zusammen. Die Entscheidung, die Einstufung tatsächlich vorzunehmen, liege dann beim Polizeipräsidenten.

Die örtliche Direktion evaluiert der Polizei zufolge mindestens einmal pro Monat, ob die Einstufung noch gerechtfertig ist. Zweimal im Jahr prüfe auch der Stab des Polizeipräsidenten.

Für Polizeisprecher Winfrid Wenzel liegt der Zweck der kbO »auf der Hand: Gefahrenabwehr«. Das will die Polizei erreichen, indem sie verdachtsunabhängig Personalien feststellt und Personen sowie Sachen durchsucht. Nicht erlaubt ist laut Wenzel die verdachtsunabhängige Durchsuchung von Gebäuden.

Rund um die Warschauer Brücke und das RAW-Gelände - das nicht mehr auf der Polizeiliste steht - sind 2016 die Eigentumsdelikte im Vergleich zu 2015 um etwa die Hälfte zurückgegangen. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Schriftliche Anfrage der Grünen-Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz hervor. Auch die Zahl der Gewalt- und anderen Delikte ist demzufolge dort leicht zurückgegangen. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich im Görlitzer Park. Burkert-Eulitz führt das auf die neue Strategie der rot-rot-grünen Landesregierung zurück, an Orten mit einer hohen Zahl an Straftaten auf stärkere Polizeipräsenz zu setzen. Im Görlitzer Park beispielsweise hat die Polizei dem Senat zufolge im März 2017 4313 Einsatzstunden geleistet. Im Vorjahresmonat waren es mit 3558 deutlich weniger Stunden.

Durchwachsen sieht die Bilanz am Kottbusser Tor aus. Die Zahl der Drogendelikte und Körperverletzungen ist etwa gleich geblieben. Nötigungen und Bedrohungen nahmen zu, Raubtaten sind zurückgegangen.

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